Ein Hauch von Seide - Roman
mag?«, hatte er zu ihr gesagt, kurz nachdem sie sich kennengelernt hatten. »Ich mag es, dass du so organisiert bist, so klug und clever. Ich mag es, dass du eine Frau bist und kein dummes Mädchen. Ich sehe in deinen Augen, dass du weißt, was es heißt, eine Frau zu sein.«
Sie hatte den Blick auf den tadellosen Kragen seines Hemds von Brooks Brothers gerichtet und versucht, all das zu sein, was er in ihr sah, während sie doch wusste, dass sie es in Wirklichkeit nicht war.
Sie lebte inzwischen lange genug in New York – fast ein Jahrzehnt –, um zu wissen, dass niemand den Sommer über in der Stadt blieb, wenn er nicht unbedingt musste, und selbst die, die blieben, machten sich davon, sobald Freitagnachmittag war.
Es kam ihr so vor, als würden alle, die bei Vogue arbeiteten, entweder ein Haus in den Hamptons besitzen oder jemanden kennen, der eines besaß, und an den Wochenenden fuhren die Redaktionsmitglieder, die nicht eh schon außerhalb der Stadt zu tun hatten, dorthin in die Sommerfrische.
Auch wenn sie Brads Einladung, sie in dem Strandhaus zu besuchen, das er den Sommer über gemietet hatte, um an seinem neuen Buch zu arbeiten, ausgeschlagen hatte, hätte sie in die Hamptons fahren können. Verschiedene Kolleginnen aus der Redaktion hatten sie eingeladen, doch da sie Brad angelogen und behauptet hatte, sie müsse Recherchen machen, die sie nur in der Stadt machen konnte, musste sie bleiben, wo sie war.
Sie liebte New York, aber hin und wieder vermisste sie doch ihre Familie. Manchmal lagen beide Seiten miteinander im Streit: ihre sentimentale, verletzliche Seite sehnte sich nach zu Hause und dem emotionalen Trost dort, ihre ehrgeizige Seite wusste, dass nur New York ihr die Chance bot, sich zu beweisen.
Beruflich kam sie sehr gut voran. Sie schrieb zwar nicht für das Time Magazine und reichte keine kämpferischen, mutigen Enthüllungsgeschichten über die harte Lebenswirklichkeit der Menschen ein, die an ihren Instinkt appellierte, die Schwachen und Verletzlichen zu schützen. Doch Brad hatte ihr Komplimente über den Stil ihrer Artikel für Vogue gemacht, und sie unterhielten sich oft darüber, dass sie an die Macht von Fernsehdokumentationen glaubten, und wie gern sie dafür als Enthüllungsjournalisten arbeiten würden.
Der Artikel, an dem sie gerade arbeitete – über die Verbindung zwischen Kunst und reichen Kunstmäzenen –, hätte sie mehr in Beschlag nehmen sollen. Am Montagmorgen würde sie eine prominente Angehörige der feinen Gesellschaft interviewen, die bekannt war für ihr Kunstmäzenatentum – eines von mehreren Interviews, die Ella arrangiert hatte. Ein Fotograf sollte sie begleiten, doch das Herz war ihr in die Hose gerutscht, als sie gehört hatte, wer – Oliver Charters.
Sie hatte gewusst, dass er in New York war und sich für zwölf Monate bei Vogue verpflichtet hatte. Der Artdirector schwärmte schon von den Schwingungen und der Originalität der ersten Modestrecke, die er für die Zeitschrift fotografiert hatte, und Ella hatte zugeben müssen, dass die Fotos wirklich gut waren.
Er verstand es, den Mannequins etwas Sinnliches zu geben – und Ella konnte, sehr zu ihrem Verdruss, die Fotos nicht ansehen, ohne sich vorzustellen, dass er vor den Aufnahmen mit den Mannequins ins Bett gegangen war. Irgendwie strahlten sie etwas aus, als wären sie befriedigt worden. Ganz im Gegensatz zu ihr.
Stöhnend warf sie ihr Notizbuch zu Boden. Sie war in Gedanken schon wieder bei Brad. Sie verzehrte sich innerlich nach ihm und konnte die ganze Nacht nicht schlafen, so sehr begehrte sie ihn. Wenn sie es ihm vielleicht doch erzählte … Aber wie konnte sie? Keine Frau war in ihrem Alter noch Jungfrau. Sie konnte sich leicht sein Entsetzen vorstellen und wie er vor ihr zurückwich. Es war schlimm genug, Jungfrau zu sein, ohne dass irgendjemand es wusste.
Vermutlich lag Brad gerade irgendwo am Pool in der Sonne, einen kühlen Drink neben sich, und unter der gebräunten Haut zeichneten sich seine männlichen Muskeln ab. Sie stellte sich vor, wie sie Sonnenmilch auf seinen Schultern verteilte, auf seiner Brust, auf seinen Oberschenkeln, stark und fest, während seine Badehose deutlich … Ella schnappte nach Luft. Nicht nur in ihrem Kopf rührte sich etwas bei diesen Bildern. Doch dies war weder die rechte Zeit noch der rechte Ort, sich erotischen Phantasien hinzugeben. Sie lenkte ihre Gedanken in sachlichere Kanäle. Sie und Brad hatten so vieles gemein, besonders ihr
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