Ein Hauch von Seide - Roman
hatte, es bestünde auch nur die geringste Chance, dass sie ihr helfen könnten, Josh zu vergessen –, wenigstens in den ersten Jahren. Doch inzwischen hatte sie die Hoffnung aufgegeben, sich ihn jemals aus dem Kopf zu schlagen. Abgesehen davon, selbst wenn er sie auch geliebt hätte … Rose runzelte die Stirn. Sie fand es schrecklich, wenn sie anfing, sich selbst zu bemitleiden, und es zuließ, dass sie innerlich von diesem Gefühl dunklen Elends, sie wäre nicht gut genug, überwältigt wurde. Die Dinge waren jetzt anders. Junge Frauen aus allen Winkeln der Erde und jeder Nationalität bevölkerten London – hübsche, selbstbewusste, glückliche junge Frauen, die stolz waren auf sich und ihre kulturelle Identität. Junge Frauen, die ihren eigenen Weg gingen. Die alten Stigmata hatten sich in den Sechzigern unter den tanzenden Füßen und zwischen den Laken einer neuen Generation aufgelöst. Sie wusste es, also warum konnte sie ihren Komplex wegen ihrer Eltern nicht ablegen? Es war jämmerlich. Sie war jämmerlich.
Sie hatte es versucht. Nach seiner Hochzeit hatte sie Josh praktisch sechs Wochen nicht gesehen. Zu sehr mit Bumsen beschäftigt, hatte er ihr glücklich und berauscht anvertraut, als er schließlich aus der Verzückung des jungen Eheglücks aufgetaucht war. Sie hatte gelächelt und genickt; sein Glück hatte sie nur darin bestärkt, mit grimmiger Entschlossenheit an der einzigen Sache in ihrem Leben festzuhalten, der sie vertrauen konnte: Sie würde der Welt beweisen, dass sie, obwohl sie die Tochter eines Taugenichts und einer chinesischen Hure war, das Talent und das kaufmännische Know-how besaß, um ihren eigenen Weg zu gehen.
Sie hätte die Freundschaft zu ihm damals aufgeben sollen, und beinahe hätte sie es getan, doch Josh hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, ab und zu in ihrem kleinen Atelier ein Stück die King’s Road hinunter vorbeizuschauen und Kaffee und Zigaretten zu schnorren und ihr, später, das Herz auszuschütten über die wachsenden Probleme in seiner Ehe.
Sie hatte sich bemüht, ein überraschtes und unvoreingenommenes Gesicht zu machen, als er es ihr erzählte, offensichtlich erstaunt und gekränkt über die Entdeckung, dass Judy eine Partymaus war, die am liebsten bis in die frühen Morgenstunden unterwegs war und dann den ganzen Tag schlief und sauer war, dass er so viel arbeitete.
Rose hätte ihm gleich sagen können, was Judy für eine war.
Dann war Judy nächtelang nicht nach Hause gekommen, und sie hatten sich endlos gestritten, wenn sie auftauchte und am Ende schließlich zugab, dass sie einen anderen hatte.
Törichterweise hatte Rose gehofft, Josh würde sich trostsuchend ihr zuwenden.
Drei weitere Jahre und zehnmal so viele junge Frauen lang hatte sie gehofft, während sie zusammen Geburtstag und Weihnachten feierten und sogar zusammen in Urlaub fuhren, aber nie miteinander ins Bett gingen. Hoffnung war, wie Rose herausfand, ein stures, eigensinniges Pflänzchen mit tiefen Wurzeln. Und wenn es einmal Wurzeln geschlagen hatte, war es schwer wieder auszurotten. Sie hatte auch entdeckt, dass die Bibel recht hatte: »Die Hoffnung, die sich verzieht, ängstet das Herz.« Und jetzt im Augenblick war ihr Herz in der Tat sehr verängstigt, denn Josh hatte Patsy kennengelernt, und die hatte Rose nur angesehen und ihr mit einem einzigen Blick bedeutet: »Finger weg.«
Doch Patsy war heute Abend nicht hier. Heute hatte Rose Josh ganz für sich.
Trotzdem war Rose schwer ums Herz. War es ihre Schuld? War sie dazu bestimmt, immer die zu lieben, die sie nicht lieben wollten oder konnten? Greg, den Vater, der sie nicht gewollt hatte, Amber, die Tante, von der sie geglaubt hatte, sie liebte sie, von der sie aber nie wirklich geliebt worden war, John, der womöglich ihr Halbbruder war, vor allem aber Josh?
Sie wollten im Savoy zu Abend essen – ein richtiges Dinner in einem traditionellen Hotel, von richtigen Kellnern serviert, keine moderne Sixties-Mahlzeit in einem überfüllten Restaurant in der King’s Road, wo die Luft geschwängert war von Cannabis-Rauch statt vom Duft nach ausgezeichnetem Essen und wo die Gäste zu high waren, um sich darum zu scheren, ob sie etwas aßen oder nicht, wo jeder jeden kannte und einem großen privaten Club mit seiner eigenen Sprache angehörte, in dem Privatheit genauso ein Witz war wie Treue, wo hübsche junge Frauen von einem Mann zum anderen gingen, von einem Schoß auf den anderen, und »Peace« und »Love« alles waren, was
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