Ein Hauch von Seide - Roman
Zeitschrift, in der sie geblättert hatte, zur Seite, sprang vom Bett auf und stellte sich, die Hände in die Hüften gestemmt – wobei der bauschige Rock ihres Seidenkleids ihre schlanke Taille vorteilhaft betonte –, vor das jüngere Mädchen.
»Na, du wirst dich noch wundern.«
»Was? Willst du etwa behaupten, du würdest wie deine Mutter einen Herzog heiraten?«, mischte Lydia sich aufgeregt in das Gespräch. Lydia war zwei Jahre jünger als Emerald und hing einer kindischen Schwärmerei für sie nach, was Emerald noch förderte.
Gwendolyn dagegen wirkte alles andere als beeindruckt.
»Einen Herzog, ja, aber wie meine Mutter, nein. Ich habe Größeres vor«, quittierte Emerald wütend.
Gwendolyn schnappte mit einem leisen scharfen Zischen nach Luft, als hätte sie in eine Zitrone gebissen, und Lydia stieß ein aufgeregtes Keuchen aus.
»Oh, Emerald, du meinst den Herzog von Kent, nicht wahr?«
»Er braucht schließlich eine Gemahlin, und da er sich unter den Debütantinnen aussuchen kann, wen er will, wird er natürlich die Hübscheste wollen …«
Sie beendete ihren Satz nicht, doch das war auch nicht nötig. Was sie sagen wollte, war den beiden Mädchen, die auf ihren Betten saßen und sie anstarrten, vollkommen klar. Emerald war eine Schönheit, sie würde zweifellos die Schönheit der Saison sein. Während Lydia einen gewissen frischen, gesunden Unschuld-vom-Lande-Charme besaß, war Gwendolyn mehr als reizlos.
Damit hatte sie Gwendolyn ordentlich das Maul gestopft, stellte Emerald voller Genugtuung fest. Sie konnte sich in keinster Weise für ihr eigenes Geschlecht begeistern. In der Schule hatte sie natürlich Freundinnen gehabt – man musste Freundinnen haben, wenn man das beliebteste Mädchen der Schule sein wollte –, aber diese Freundinnen waren naive Mädchen wie Lydia gewesen, die ebenso leicht zu beeindrucken wie zu manipulieren waren. Ausgeschlossen, dass ein reizloses, übergewichtiges Mädchen wie Gwendolyn in diesen Kreis aufgenommen wurde – sie gehörte zu denen, die von Emerald verschmäht und mit Geringschätzung behandelt wurden. Von Rechts wegen hätte Gwendolyn sich um Emeralds Anerkennung bemühen müssen, doch stattdessen ließ sie, sehr zu Emeralds Verdruss, mit ihrer tonlosen Stimme immer wieder unerwünschte, ja sogar kritische Kommentare fallen. Was für ein Witz, dass Griesgram Gwen es wagte, sie zu kritisieren und sie mit ihren kleinen, scharfen Augen anzusehen, wenn sie ihre gleichermaßen scharfen Fragen stellte. Sobald Emerald mit dem Herzog von Kent verheiratet war, würde sie sich genüsslich an ihr rächen.
Emerald ging ungeduldig im Zimmer auf und ab. Sie langweilte sich in Paris. Sie hatte erwartet, dass es hier viel aufregender sein würde. Dem Himmel sei Dank, dass sie bald hier fertig war und der Spaß endlich richtig losgehen konnte.
Ihr Blick fiel auf die Zeitschrift, die sie vorhin weggeworfen hatte. Obwohl die Saison offiziell noch nicht eröffnet war, brachte Queen schon Studioporträts einiger Debütantinnen. Ihres war von Cecil Beaton aufgenommen worden, und sie war sehr zufrieden gewesen damit, doch jetzt, da sie das Foto einer anderen Debütantin von Lewis Coulter gesehen hatte – einem Eton-Absolventen ohne Titel, aber mit ausgezeichneten Verbindungen, der kürzlich zum angesagtesten Society-Fotografen aufgestiegen war –, hatte Emerald beschlossen, dass sie ein neues Foto brauchte. Zielstrebig, wie sie war, wenn sie etwas wollte, hatte sie ihm schon geschrieben und ihm mitgeteilt, wann sie wieder in London war und dass sie ihn dann aufsuchen würde. In der Zeitschrift mochte es ja heißen, er sei so gefragt, dass er sogar Aufträge ablehne, aber er war schließlich ein Fotograf, der Leute für Geld fotografierte. Und Geld war etwas, das Emeralds Mutter in großem Überfluss besaß. Genau wie Emerald. Jedenfalls theoretisch – denn bis zu ihrem fünfundzwanzigsten Geburtstag musste sie immer noch Mr Melrose beschwatzen, aus ihrem Treuhandfonds für ihre Wünsche aufzukommen.
Ihrer Mutter war es natürlich zuwider, dass Emerald so schrecklich reich sein würde …
Und was Rose anging … Emerald kniff die Lippen zusammen. Wie konnte ihre Mutter so einen Wirbel um sie veranstalten? Machte ihre Mutter sich nicht bewusst, was für ein schlechtes Licht es auf Emerald werfen konnte, eine Cousine wie Rose zu haben? Emeralds Urgroßmutter hatte recht gehabt: Man hätte Rose zurück in die Slums von Hongkong schicken sollen, wo Onkel Greg
Weitere Kostenlose Bücher