Ein Hauch von Seide - Roman
einander an, und dann plapperte Rose, bevor sie es sich anders überlegen konnte, schnell los: »Wir waren auf einer Party. Mit Freunden … ich weiß wirklich nicht mehr genau, wer alles da war. Es waren eine Menge Leute da, und als wir gehen wollten, ist Em… bin ich die Treppe runtergefallen.«
»Und sind auf ihr gelandet?« Die Schwester wandte sich an Emerald. »Ich nehme an, Sie bleiben bei der Geschichte?«
Emerald nickte.
»Mmm. Gut. Also, Sie können hierbleiben«, erklärte die Krankenschwester Rose und trat hinter den Rollstuhl.
»Nein, sie soll mitkommen«, sagte Emerald.
Einen Augenblick lang dachte Rose, die Schwester würde es ihr verbieten, doch es kamen neue Patienten herein, und sie wurden von einem Aufruhr an der Tür abgelenkt, und als sie sich den Neuankömmlingen zuwandte, rief sie nur noch über die Schulter: »Dritte Kabine auf der linken Seite.«
Der junge Arzt untersuchte Emerald gründlich und erklärte ihr schließlich geduldig, sie habe sehr großes Glück gehabt, dass sie so glimpflich davongekommen sei. Sie hatte schwere Prellungen an den Rippen und würde wahrscheinlich ein blaues Auge bekommen.
»Wir reinigen die Wunden und verbinden sie, dann können Sie nach Hause. Sie werden sicher einige Tage starke Schmerzen haben, deswegen gebe ich Ihnen ein Rezept für Schlaftabletten und ein Schmerzmittel mit. Wenn es Ihnen innerhalb einer Woche nicht besser geht, sollten Sie zu Ihrem Hausarzt gehen. Heute Nacht muss jemand bei Ihnen sein. Ich glaube nicht, dass die Gefahr einer Gehirnerschütterung besteht, aber falls doch, kann ich Sie nur entlassen, wenn Sie mir versichern, dass Sie heute Nacht nicht allein sind.«
»Vielleicht solltest du im Krankenhaus bleiben …«, setzte Rose erschrocken an. Doch Emerald erklärte dem Arzt: »Sie bleibt bei mir. Sie ist meine Cousine.«
Kurz nach zwei Uhr am Morgen stiegen sie schließlich wieder in den Mini. Rose warf den Motor an. Sie war völlig erschöpft und übermüdet und zitterte – eine Folge des Schocks.
Als sie die Handbremse lösen wollte, sagte Emerald, die kein Wort mit ihr gesprochen hatte, seit sie die Notaufnahme verlassen hatten, den Blick stur geradeaus durch die Windschutzscheibe gerichtet, leise: »Danke.«
Rose war sich nicht sicher, wer von ihnen verdutzter war, sie oder Emerald selbst, die jetzt den Blick aus dem Seitenfenster richtete und sie gereizt anfuhr: »Um Himmels willen, fährst du jetzt mal langsam los, oder sollen wir die ganze Nacht hier hocken?«
44
New York. Sonne. Hübsche Mädchen. Ein Leben ganz nach Ollies Geschmack – das wäre es zumindest gewesen, wenn er heute nicht mit der Eisprinzessin hätte arbeiten müssen.
Als er in der Woche zuvor in der Vogue -Redaktion gewesen war, wo er darauf wartete, mit der leitenden Moderedakteurin zu reden, hatte er mit angehört, wie einige Kolleginnen über Ella sprachen und sich darüber wunderten, dass sie irgendeinen Typ am ausgestreckten Arm verhungern ließ. Nach dem zu schließen, was Ollie mit angehört hatte, war er ein echter Volltreffer, und die Kolleginnen verstanden Ellas Verhalten ihm gegenüber nicht. Na, er schon. Schließlich hatte er in London miterlebt, wie sie die Eisprinzessin gab. Er hatte Mitleid mit den armen Kerlen, die scharf auf sie waren. Sie bräuchten einen Lötbrenner, um das Eis zu tauen. Er persönlich hatte seine Frauen gern heiß und willig. Zum Glück bestand weder in London noch hier in New York Mangel an solchen Frauen.
Er hatte das Glück, dass Vogue ihm die Wohnung eines Kollegen vermittelt hatte – eines Fotojournalisten, der ein Jahr im Ausland arbeitete. Die Wohnung hatte alles, was Ollie brauchte, und bot zudem noch einen herrlichen Blick über den Central Park. Der Fotojournalist hatte gute Beziehungen und stammte aus einer wohlhabenden Familie. Auch Oliver besaß, dank seines leiblichen Vaters, jetzt Geld. Seltsam, dass er nicht aufhören konnte, sich mit dem Mann, der ihn gezeugt hatte, zu befassen: zu überlegen, wie er gewesen war, und sich zu wünschen, er hätte mehr Zeit mit ihm verbracht. So etwas geschah, wenn das Leben zu viele unbeantwortete Fragen bereithielt und ein Kind erst erfuhr, wer sein Vater war, wenn es zu spät war.
Das war sicher das längste Interview, an dem ich je teilgenommen habe, dachte Ella müde.
In der Nacht war ihr übel gewesen – sie hatte wohl etwas Falsches gegessen –, und auch wenn es ihr jetzt gut ging, hatte doch die Kombination aus Schlafmangel, einer
Weitere Kostenlose Bücher