Ein Hauch von Seide - Roman
anspruchsvollen Interviewpartnerin, einem noch anspruchsvolleren Fotografen und der Tatsache, dass in der Post ein äußerst berauschender Brief von Brad gewesen war, in dem er schrieb, er wünsche, der Sommer wäre zu Ende, und er könne mit ihr zusammen sein, dazu geführt, dass sie gleichzeitig völlig erledigt und doch seltsam in Hochstimmung war.
Das Interview war gut gelaufen, und sie hatte einige wunderbare Zitate erhalten, nicht so sehr dank ihrer Interviewtechnik, sondern dank Olivers Fähigkeit, mit seiner gut belegten sexuellen Chemie jede, aber wirklich auch jede Frau zu bezirzen – außer natürlich sie, Ella.
Maisie Fischerbaum, die achtzigjährige Philanthropin, die ihre umfassende Kunstsammlung als Leihgabe an das Guggenheim gegeben und sie dem Museum nach ihrem Tod als Schenkung versprochen hatte, hatte eine Fülle von Anekdoten zu bieten gehabt – einige gar so skandalös, dass sie sie unmöglich drucken konnten. Sie und ihr verstorbener Gemahl hatten, wie es schien, jeden gekannt, so auch Präsident Kennedy, dessen Tod selbst jetzt noch so schmerzlich und unglaublich war. Während Oliver mit ihr geflirtet und sie fotografiert hatte, hatte Ella ihr eine Frage nach der anderen gestellt und die Antworten in Kurzschrift festgehalten.
Den ganzen Nachmittag über war immer wieder Maisies Dienstmädchen hereingekommen, um Martinis zu bringen, Maisies Lieblingscocktail, und Ella war verblüfft gewesen, wie viel die alte Dame vertrug, ohne dass man es ihr anmerkte, außer dass sie immer heftiger mit Oliver geflirtet hatte und immer geschwätziger geworden war.
Peinlicherweise hatte sie Ella irgendwann gefragt, ob sie mit Oliver schlafe. Nachdem Ella den Kopf geschüttelt und kurz angebunden geantwortet hatte, ihre Beziehung sei rein beruflicher Natur, hatte Maisie die Lippen geschürzt und Oliver von der Seite angesehen.
»So, so, rein beruflich, ja?«, meinte sie. »Zu meiner Zeit gab es nur eines, was eine junge Frau mit so einem gut aussehenden Burschen wollte.«
Zu Ellas Überraschung eilte Oliver ihr zur Rettung. »Sie hat schon einen gut aussehenden New Yorker, der hinter ihr her ist«, erwiderte er.
Natürlich wollte Maisie wissen, wer der gut aussehende New Yorker war, und Ella verfluchte Oliver innerlich, weil er irgendwie von Brad wusste.
»Er ist auch Journalist« war alles, was sie verriet.
Jetzt standen Ella und Oliver wieder draußen in der brütenden Hitze des späten Nachmittags. Es war fünf Uhr, und sogar die Bäume im Central Park wirkten müde, sie ließen die Blätter hängen, genau wie Ella, die nicht merkte, dass Oliver sie beobachtete.
Sie hatte einen ganz anderen Körper als die Mannequins, die er fotografierte, ging Oliver auf, viel kurviger, mit vollen Brüsten und einer schmalen Taille, nicht so androgyn, wie es derzeit Mode war. Sie war jetzt eine Frau – nicht mehr das rundliche junge Mädchen, das sie gewesen war, als er ihr zum ersten Mal begegnet war, und auch nicht die viel zu dünne, überdrehte Person, die sie gewesen war, als sie die verdammten Pillen genommen hatte. Sie sah viel besser aus als bei ihrer letzten Begegnung – viel, viel besser, wie er zugeben musste. Sie trug das Haar aus dem Gesicht gekämmt und zu einem glänzenden Chignon geschlungen, und Bluse und Rock waren immer noch so frisch wie zu dem Zeitpunkt, als sie die Vogue -Redaktion verlassen hatte – bis auf den kleinen Schweißtropfen, der in der kleinen Kuhle an ihrem Hals lag und sich zitternd daranmachte, zwischen ihren Brüsten hinunterzulaufen. Was würde sie tun, wenn er die Hand ausstreckte und ihn auffing und von seinen Fingerspitzen leckte wie ein Junge, der Eiscreme schleckt? Er war arg in Versuchung, es auszuprobieren.
Ellas Reaktion auf Maisies Bemerkung hatte bestätigt, dass es diesen New Yorker Freund tatsächlich gab, und das hatte seinen Jagdinstinkt geweckt. Oliver hatte noch nie der Versuchung widerstehen können, eine Frau zu verführen, die mit einem anderen zusammen war – so wie sein Vater seine Mutter von ihrem Ehemann weggelockt hatte? Im Geiste zuckte er die Achseln. Und wenn schon? Sie war offensichtlich bereit gewesen, und er schlug offensichtlich ganz nach seinem leiblichen Vater.
Die Brise vermochte die heiße Luft nicht abzukühlen. Olivers Blick wanderte ein Stück die Straße rauf zum Hotel Pierre.
»Lust, was zu trinken?« Seine Einladung überraschte ihn genauso wie Ella, die ihn mit der gewohnten Überheblichkeit musterte.
Ella wollte es
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