Ein Hauch von Seide - Roman
ihm anvertraut, was sie noch nie jemandem gestanden hatte: dass sie Pete niemals hätte heiraten dürfen. Von dort war es ein leichter, wenn auch treuloser Schritt gewesen, zuzugeben, dass sie Josh liebte, ihn immer geliebt hatte und immer lieben würde.
»Verlass Pete«, hatte Josh gedrängt.
»Ich kann nicht. Er braucht mich«, hatte sie erwidert. »Er hat sonst niemanden.«
»Und was ist mit deinen Bedürfnissen, Rose? Und mit meinen?«, hatte Josh dagegengehalten. »Zählen wir nicht? Es ist nicht zu spät für uns …«
Sobald der Aufzug die Türen hinter ihr geschlossen hatte und sie in seinem schimmernd polierten Schoß barg, befreite Ella verstohlen ihre Zehen aus den Schuhen.
Sie hatte eine Buchvorstellung besucht, die länger gedauert hatte als erwartet, und ihre Füße schmerzten, weil sie den ganzen Abend herumgestanden und Smalltalk gehalten hatte. In ihrer Rolle als Chefredakteurin des New York Magazine musste sie viele solcher Veranstaltungen besuchen. Das New York Magazine galt bei Eingeweihten als die renommierteste und erfolgreichste Zeitschrift der Stadt, und Ella war begeistert gewesen, als man sie vor vier Jahren gefragt hatte, ob sie es als Chefredakteurin leiten wolle.
Seine einzigartige Mischung aus einer kritischen Haltung zu aktuellen politischen Themen und dem, was als die beste Klatschspalte der ganzen Stadt gelobt wurde, hatte ihm eine Leserschaft zugeführt, die die Politik ernst nahm, die aber trotzdem so modern war, dass sie auf ihre Portion Insider-Klatsch nicht verzichten wollte.
Dazu noch richtig gute Modeseiten, ein den Künsten gewidmeter Teil und ein Terminkalender, der genau vermerkte, wer wo und mit wem gesehen worden war, was getragen hatte und wie viel er oder sie dieser oder jener Wohltätigkeitseinrichtung gespendet hatte, und man begriff leicht, warum die Zeitschriftso schnell zur Kultlektüre avanciert war.
Lange bevor der Aufzug in der unteren Etage ihrer sich über zwei Etagen erstreckenden Wohnung in der Park Avenue hielt, hatte Ella ihre Schuhe wieder angezogen und sich aufgerichtet. Nicht dass irgendjemand sie sehen würde: Maria, ihre Haushälterin, war schon zu Bett gegangen, und auch Olivia würde fest schlafen. Ihr Schlafzimmer war erst kürzlich frisch renoviert worden, doch die Wände waren zu Ellas Verärgerung sofort wieder mit den Vergrößerungen der Fotos vollgehängt worden, die ihre Tochter und ihr Mann zusammen aufgenommen hatten: Straßenszenen aus New York, Strandszenen vom Sommer in den Hamptons, Porträts der außergewöhnlichen Menschen der Stadt.
Obwohl sie ein Mädchen war und nicht der Junge, auf den Oliver so zuversichtlich gehofft hatte, hatte er seine Tochter vom Augenblick ihrer Geburt an angebetet. Wo Ella gedacht hatte, Olivias blaue Augen und dunkles Haar gingen auf ihren Vater zurück, verkündete Oliver, sie habe sie von ihm. Wo Ella das Gefühl hatte, ihre gesunde Natur käme von ihrem Urgroßvater, behauptete Oliver, sie habe sie von seiner willensstarken Mutter. So wie sie über alles andere stritten, hatten sie auch darüber gestritten, was Olivia von welcher Familie mitbekommen hatte.
Nicht gestritten hatten sie jedoch darüber, wie sehr sie ihre Tochter liebten. Weit davon entfernt, an postnatalen Depressionen zu leiden, hatte Ella ihre Tochter vom ersten Augenblick an leidenschaftlich geliebt.
Sie schloss die Tür zu der Wohnung auf und öffnete sie. Sie wusste, dass Oliver nicht da war – auch wenn sie nicht genau wusste, wo er gerade war.
Sie hatte jedoch eine Vermutung, wie sie sich zynisch gestand. Oliver war ein gefeierter und sehr gefragter Modefotograf, und Ella hatte nicht vergessen, dass er als solcher vor ihrer Heirat regelmäßig mit seinen Mannequins geschlafen hatte. Ihre Ehe war keine Liebesheirat gewesen, sie erhob keinen emotionalen Anspruch auf ihn und er nicht auf sie. Sie hatten nie darüber gesprochen, doch sie wusste, dass Oliver nicht blind gewesen war dafür, wie beharrlich Brad nach Olivias Geburt um sie geworben hatte. Es stimmte, dass sie in Versuchung gewesen war – schließlich war Brad weit mehr nach ihrem Geschmack als Oliver –, doch sie hatte nicht vergessen können, dass sie wegen – und dank – Oliver jetzt das Kostbarste besaß, was sie im Leben je besitzen würde: Olivia. Oliver hatte sie mit ihr zusammen gezeugt, und Oliver hatte verhindert, dass sie sie abgetrieben hatte. Und Oliver hatte sie um Olivias willen geheiratet.
Und weil sie fest davon überzeugt war, dass
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