Ein Hauch von Seide - Roman
Herzogstitel zu produzieren. Manchmal fürchtete er sogar, es sei ihr wichtiger als alles andere, einschließlich ihres eigenen Glücks.
»Ich gehe besser und rufe die anderen an«, sagte er und ließ sie los.
58
Rose war nicht im Bett, als das Telefon klingelte. Sie schlief selten länger als bis sechs Uhr und nie besonders tief. Sie war zu sehr darauf eingestimmt zu horchen, eine Gewohnheit, die sie in den ersten Jahren ihrer Ehe entwickelt hatte, wenn sie ängstlich darauf gewartet hatte, dass Pete vom Pub nach Hause kam, um dann gespannt darauf zu lauschen, in welchem Zustand er war.
Zuerst der Motorenlärm des Autos, das die Auffahrt hochkam – da hielt sie die Luft an, bis das Auto stand und sie sicher sein konnte, dass er keinen Unfall gebaut hatte. Dann darauf warten, dass er ins Haus kam – die Zeitspanne, die er brauchte, um den Schlüssel ins Schloss zu stecken, verriet ihr annähernd, wie viel er getrunken hatte. In der ersten Zeit war sie aufgeblieben und hatte auf ihn gewartet. Oft war sie dann unten in einem Sessel eingeschlafen. Den Kampf, ihn zu überreden, nicht auszugehen, nicht zu trinken, und wenn er schon trank, dann nicht zu fahren, hatte sie vorher schon verloren. Allmählich – so allmählich, dass sie gar nicht gemerkt hatte, dass es zur Gewohnheit geworden war – war sie dazu übergegangen, ins Bett zu gehen, wenn er um Mitternacht immer noch nicht zu Hause war. Es war nicht ungewöhnlich, dass Pete gegen ein, zwei Uhr nach Hause kam und dann unten blieb und weitertrank.
Sobald er sicher zu Hause war, begannen die Ängste: dass er noch mehr trank, dass er umkippte und sich verletzte, dass er unten einschlief und ihm im Schlaf übel wurde und er an seinem Erbrochenen erstickte. Um ihn vor so einem Schicksal zu bewahren, musste sie ständig auf der Hut sein, parat stehen, um ihn zu beschwatzen und ihm gut zuzureden, nach oben ins Bett zu gehen, ihn halb zu stützen, halb die Treppe hinaufzuschleifen. Manchmal brach sie unter seinem Gewicht zusammen, das Herz erfüllt von einer Mischung aus glühendem Zorn, Scham und Verzweiflung, durchsetzt von Mitleid, Schuldgefühlen und dem instinktiven Bedürfnis, ihn trotz allem zu lieben.
Wenn sie ein Kind – Kinder – hätten, wäre es vielleicht anders, doch Rose hatte zu viel Angst gehabt, das Risiko einzugehen. Für ein Kind wäre es schwierig genug gewesen, mit Roses Hintergrund und allem, was damit einherging, zurechtzukommen, ohne dazu auch noch einen Alkoholiker zum Vater zu haben. Das war der emotionale Grund gewesen, warum sie so entschlossen die Pille genommen hatte. Doch als Petes Alkoholkonsum und die folgende Alkoholabhängigkeit immer stärker wurden, hatte es auch praktische Gründe gegeben. Wie konnte sie sich um ein Kind kümmern, wenn sie sich schon um ihren Mann kümmern musste wie um einen Säugling?
Das war in den ersten Jahren seines Alkoholismus gewesen. In den letzten sechs Jahren hatte sie sich keine Gedanken um Empfängnisverhütung mehr machen müssen, und sie hatte auch nicht die Gelegenheit gehabt, ihren Entschluss, keine Kinder zu bekommen, noch einmal zu überdenken, denn Pete hatte jegliches Interesse an Sex verloren und war körperlich auch nicht mehr dazu in der Lage. Der Alkohol war seine Liebe, seine Geliebte, sein Freund und sein Peiniger – Alkohol war seine Welt, sein Ein und Alles –, und, wie Rose gelernt hatte, als sie auf Anraten ihres Arztes zum örtlichen Treffen der Anonymen Alkoholiker gegangen war, es gab nichts, was sie tun konnte, um Petes Verhalten zu ändern. Das konnte nur Pete allein. Der einzige Mensch, über dessen Verhalten sie die Kontrolle hatte, war sie selbst. Das zu akzeptieren war ihr schrecklich schwergefallen. In der ersten Zeit hatte sie geglaubt, sie besäße die Kraft, ihn dazu zu bringen, mit dem Trinken aufzuhören, ihn »gesund« zu machen.
In ihre Verzweiflung über Petes Alkoholismus mischten sich dazu noch Schuldgefühle: Trank er, weil er es bereute, dass er sie geheiratet hatte? Wünschte er sich, er hätte eine andere Frau geheiratet? War sie der Grund für seinen Alkoholismus? Sie hatte sogar überlegt, ob ihre Heirat mit Pete auf komplizierte Art ein Versuch ihrerseits war, die Geschichte ihrer eigenen Vergangenheit und der Alkoholprobleme ihres Vaters neu zu schreiben. Hatte sie auf einer tief verwurzelten Ebene geglaubt, wenn sie Pete heilte, könnte sie irgendwie ihre Sünde wiedergutmachen, geboren und von ihrem Vater so sehr gehasst worden zu
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