Ein Hauch von Seide - Roman
noch in der Ausbildung, und ich weiß nicht das Geringste über die Ausstattung von Friseursalons.«
»Das brauchen Sie auch nicht«, erklärte Josh ihr prompt. »Kommen Sie, es ist gleich hier oben.«
Er hielt immer noch ihren Arm und dirigierte sie auf eine Tür zu. Nur Joshs Lebewohl zu Vidal machte Rose darauf aufmerksam, dass sie jetzt nur noch zu zweit waren. Doch da war es zu spät, Josh öffnete bereits die schäbige Tür.
Die Tür führte in ein langes, schmales Treppenhaus, dessen Wände in einem schlammigen Dunkelbraun gestrichen waren, das stellenweise schon abblätterte und darunter einen noch abstoßenderen Grünton freilegte.
»Hier brauchen Sie auf jeden Fall etwas Helles und Freundliches«, verkündete Rose, augenblicklich inspiriert, »mit einer Oberfläche, die man abwischen kann, denn die Leute werden beim Hochgehen die Hand an die Wand legen, weil die Treppe so eng ist.« Nachdenklich betrachtete sie die Wand. »Ein gebrochenes Weiß wäre das Beste, und dann können Sie die Wand mit einigen Schwarzweißfotos in schlichten schwarzen Rahmen auflockern – vielleicht Brustbilder von Frauen mit verschiedenen Frisuren.«
Rose dachte laut, ihre Phantasie hob ab und setzte sich über ihr Zögern hinweg. Die schäbige Umgebung und die Herausforderung, sie in etwas Glamouröses zu verwandeln, waren wie eine juckende Stelle, an der sie einfach kratzen musste.
»Eine tolle Idee. Ich habe einen Kumpel, der Fotograf ist und dauernd hübsche Mädchen fotografiert. Mit dem kann ich bestimmt einen Deal machen.«
Rose, die schon halb die Treppe hinauf war, drehte sich um, um ihn anzusehen. Er stand zwei Stufen unter ihr, sodass sie auf gleicher Augenhöhe waren. Er hatte für einen Mann ungewöhnlich lange Wimpern, und seine tief liegenden dunkelbraunen Augen waren aus der Nähe noch faszinierender. Doch er war eindeutig nicht ihr Typ. Sie mochte ruhige, ernsthafte junge Männer wie den jungen chinesischen Medizinstudenten, den sie kürzlich kennengelernt hatte. Seine Familie besaß ein chinesisches Restaurant, in dem Janeys und ihre Künstlerclique Stammgäste waren. Wenn er nicht studierte, arbeitete Lee im Restaurant mit, und eines Abends, als sie die letzten Gäste gewesen waren, hatte er sich auf Janeys Insistieren hin zu ihnen gesetzt und ihnen von seinen Träumen und Plänen erzählt.
Nicht dass Rose ein besonderes Interesse an Lee hatte oder ein solches entwickeln würde. Ihr Herz gehörte John, Lord Fitton Legh. Johns Vater hatte nach dem Tod von Johns Mutter noch einmal geheiratet, und Johns Stiefmutter war Ellas und Janeys Tante Cassandra. Die Mädchen kannten John schon ihr ganzes Leben lang. Er war ruhig und freundlich, und dafür liebte Rose ihn genauso wie dafür, dass er sie so behandelte wie die anderen auch … Mit zwölf hatte sie sich in ihn verliebt. Da hatte er sie gerettet, als Emerald sie mit einer List dazu gebracht hatte, sich auf ein viel zu feuriges Pferd zu setzen, obwohl Emerald doch wusste, dass Rose eine nervöse Reiterin war. John war in den Hof gekommen, als Rose sich voller Angst an die Zügel des sich aufbäumenden Pferds geklammert hatte. Innerhalb von Sekunden hatte er das Pferd beruhigt und Rose heruntergeholt. Seit diesem Augenblick war er für sie der wunderbarste Mensch auf der Welt. Nicht dass sie je zulassen würde, dass John oder sonst jemand erfuhr, was sie empfand. Emerald würde sich einen Mordsspaß daraus machen, sie damit aufzuziehen, wenn sie es ahnte, denn es war natürlich ausgeschlossen, dass John Roses Gefühle erwiderte. Rose hatte mit angehört, wie ihre Tante und ihr Onkel über Johns Zukunft sprachen und sich einig waren, dass er wahrscheinlich ein Mädchen aus einer der ortsansässigen aristokratischen Familien heiraten würde – eine junge Frau, die seine tiefe Bindung zu dem Land und seinem Erbe teilte. Da hatte Rose, auch wenn sie noch sehr jung gewesen war, gewusst, dass jemand in seiner Position niemals ein Mädchen wie sie heiraten würde. Die Fittons waren schließlich eine sehr alteingesessene und stolze Familie.
Doch das hinderte sie nicht daran, Tagträumen nachzuhängen.
Später, in der Collegezeit, hatte das Wissen um ihre Liebe zu John ihr ein Gefühl der Sicherheit gegeben, wenn sie die Blicke der Männer spürte. Denn wenn sie John liebte, musste sie sich keine Sorgen darüber machen, sie könnte sich in einen anderen verlieben – jemanden, der so tat, als liebte er sie, der sie aber eigentlich nur so behandeln wollte wie
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