Ein Hauch von Seide - Roman
müsste am Nachmittag stehengeblieben sein. Dann ging ihm auf, dass dem nicht so war und dass es tatsächlich vier Uhr am Morgen war.
Er war müde und hatte Hunger – großen Hunger. Ein Gähnen unterdrückend, tappte er barfuß durch die Dunkelkammer und öffnete die Tür.
Die gemietete Bude, die aus einem Zimmer und einem engen Bad bestand, war die erste Wohnung, die er ganz für sich hatte. Er hatte sie genommen, weil der große Wohnraum Zugang zum Dachboden hatte und er den Vermieter hatte überreden können, sich einen Teil davon zur Dunkelkammer ausbauen zu dürfen.
Sobald er es sich leisten konnte, wollte er irgendwo hinziehen, wo er ein richtiges Studio haben konnte, doch das war im Augenblick noch ein ferner Wunschtraum.
In dem Wohnraum öffnete er den Schrank mit der Fliegengittertür, in dem er seine Lebensmittel aufbewahrte, und holte mehrere Scheiben Frühstücksspeck heraus, warf sie in die schwarze Bratpfanne und stellte diese auf den einflammigen Gaskocher. Er fügte einen Klacks Schweineschmalz hinzu und drehte die Flamme hoch. Während der Speck brutzelte und geräuschvoll Fetttröpfchen auf die Doppelreihe Fliesen spuckte, die aufs Geratewohl an der in einem leuchtenden Gelb gestrichenen Wand hinter dem Gaskocher klebten, nahm Ollie ein angeschnittenes Brot aus dem Brotkasten auf dem Blechschrank, in dem sich seine magere Sammlung von Porzellan und Küchengeräten befand. Die Anrichte war ein Geschenk seiner Mutter, die beim Anblick dessen, wofür ihr Sohn sein Zimmer in ihrem hübschen, makellosen Reihenhaus aufgegeben hatte, beinahe in Tränen ausgebrochen war und gemeint hatte, die Wohnung sei ein »Loch«.
Ollie schnitt sich zwei dicke Scheiben Brot ab, bestrich sie großzügig mit Butter, holte die Speckscheiben aus der Bratpfanne und drückte sie zwischen den dicken Brotscheiben flach.
Das Wasser lief ihm im Mund zusammen, und er biss hinein. Es ging doch nichts über ein Speckbrot. Allenfalls der süße Geschmack des Erfolgs. Und den hoffte er ab jetzt regelmäßig zu genießen.
11
Sie würden einen Zug mit Schiffsanschluss nach Paris nehmen und dort in den Orientexpress umsteigen, und Ella war natürlich früh auf und überprüfte in nervöser Vorfreude immer wieder ihren kleinen Koffer. Diese Reise bedeutete ihr unglaublich viel – es war die Gelegenheit, bemerkt zu werden, um vielleicht einmal eine feste Stelle zu bekommen. Sie drückte die Daumen, dass es klappte.
Sie musste erst um zehn in der Vogue -Redaktion sein, doch sie war viel zu aufgeregt, um zu schlafen, und saß im Morgenrock und mit Pantoffeln an den Füßen in der Küche und trank eine Tasse Tee. Bei dem Gedanken, etwas zu essen, wurde ihr nur noch mehr übel.
Sie hörte Janey und Rose die Treppe herunterkommen. Bald musste sie los. Als sie aufstand und ihre leere Teetasse in die Spüle stellte, platzte Janey in die Küche und jammerte über den kalten Fußboden.
Seit dem Augenblick, da Janey am Samstag Roses neue Frisur gesehen hatte, hatte sie Rose in den Ohren gelegen, Josh zu sagen, sie wolle ihr Haar auch so geschnitten haben. Sie fing auch jetzt wieder damit an und unterbrach sich nur, um voller Neid zu Ella zu sagen: »Du Glückliche! Venedig, da scheint die Sonne und es ist warm.«
»Ich arbeite und habe keine Zeit zum Sonnenbaden«, erklärte Ella und schaute auf ihre Uhr. Ja, es war eindeutig Zeit, sich auf den Weg zu machen, aber zuerst musste sie noch einmal in ihrer Handtasche nachsehen, ob sie auch wirklich nichts vergessen hatte.
Von der anderen Seite des schweren, altmodischen Mahagoni-Doppelschreibtisches in Mr Melroses Büro aus versuchte Dougie, Emeralds Mutter nicht allzu offen anzustarren.
Äußerlich bot sie ihm keine Überraschungen. Er hatte nicht mehrere Monate für Lew gearbeitet, ohne etwas zu lernen, und so hatte es ihn nicht viel Mühe gekostet, einige einigermaßen aktuelle Zeitungsfotos von ihr aufzutreiben. Wenn man ihn gebeten hätte, sie mit einem Wort zu beschreiben, dann wäre dieses eine Wort »exquisit« gewesen. Von ihrem elegant geschlungenen Chignon bis zu den Spitzen ihrer marineblauen Lederschuhe glühte Amber förmlich in einer besonderen Patina guten Aussehens, guter Manieren und einer Warmherzigkeit und Freundlichkeit, die Dougie auch in ihren Augen zu sehen glaubte.
Diese Sanftheit und Freundlichkeit hatten ihn überrascht. Die Zeitungsfotos, die er gesehen hatte, hatten sie nicht einfangen können, sie hatten ihn förmlich überrumpelt. Umso mehr im Lichte
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