Ein Hauch von Seide - Roman
erwiderte Emerald. »Ich …«
»Du vielleicht nicht, aber Jay und ich schon.«
Was auch immer ihre älteste Tochter zu dieser Nachtzeit nach Denham geführt hatte, es war offensichtlich wichtig – zumindest für Emerald.
Jay, der mit dem Hund draußen gewesen war, war so erstaunt wie Amber, als er in die Küche kam und dort auf Emerald traf. Ihre elegante Londoner Garderobe wirkte in der heimischen Wärme der Küche fehl am Platz, genau wie Emerald selbst, doch Emerald hatte Denham nie als Zuhause betrachtet, obwohl sie so lange dort gelebt hatte. Nein, Denham war nicht gut genug für die Tochter eines Herzogs, so hatte Emerald jedenfalls immer behauptet. War ihre Tochter jetzt glücklich, da sie ihren Prinzen und seinen Titel hatte? Um Emeralds willen hoffte Amber es. Sie vermutete, dass Glück für Emerald immer eine andere Bedeutung haben würde als für sie.
»Ich will unter vier Augen mit meiner Mutter reden«, erklärte Emerald Jay von oben herab. Sie wollte nicht, dass ihr Stiefvater dabei war, um ihre Mutter zu verteidigen und zu beschützen, wie er es immer tat. Wenn Jay nicht dabei war, standen ihre Chancen viel besser, tatsächlich die Wahrheit zu erfahren.
Sie sah den Blick, den ihr Stiefvater ihrer Mutter zuwarf, und Ambers leichtes Nicken. Sie sah auch, dass er sie nur ungern alleinließ. Emerald hatte noch nie einsehen und begreifen können, warum die Leute so mit ihrer Mutter umgingen, immer irgendein Theater um sie machten und sich besonders um sie bemühten.
»Emerald, was ist los? Was um alles in der Welt führt dich zu dieser späten Stunde hierher?«, fragte Amber leise, sobald sie allein waren.
»Ich will, dass du mir jetzt die Wahrheit sagst: Wer war mein Vater?«
25
»Sie nehmen doch nicht immer noch diese verflixten Pillen, oder?«
Ella warf Oliver einen bitteren Blick zu. »Und wenn?«
»Dann sind Sie eine Närrin«, sagte er offen, »und für eine Närrin habe ich Sie eigentlich nie gehalten.«
Schuldgefühle und Verärgerung feuerten Ellas Empörung an. Sie hatte sich bei Dr. Williamson ein neues Rezept geholt, doch sie hatte von zwei Pillen am Tag auf eine reduziert. Also, wenigstens an manchen Tagen nahm sie nur eine.
Ihr Gespräch wurde von der Sekretärin der Moderedakteurin unterbrochen, die in das kleine, vollgestopfte Büro kam, auf einem Schreibtisch in einigen Unterlagen wühlte, den Fund des Gesuchten mit einem triumphierenden Schnaufen quittierte und das Büro wieder verließ. Ella saß an ihrem Schreibtisch fest, während Oliver am Türrahmen lehnte.
Er holte eine Schachtel Zigaretten aus der Tasche seiner Jeans, öffnete sie und bot ihr eine an. »Zigarette?«
Ella schüttelte den Kopf. Warum geht er nicht weg und tut das, was er am besten kann – den Mannequins schöne Augen machen –, dachte sie gehässig, statt hier herumzulungern, als hätte er alle Zeit der Welt? Sie gab sich große Mühe, ihn nicht anzusehen, doch irgendwie hatte ihr Blick einen eigenen Willen, und als er an seiner Zigarette zog und dann mit einem langsamen, genüsslichen Stöhnen den Rauch ausstieß, wurde ihr Blick wie magnetisch von seinem Gesicht angezogen.
»Es geht nichts über den ersten Zug«, sagte er und fügte in übertrieben spöttischem Tonfall hinzu: »Na ja, fast nichts. Lassen Sie die Finger von den Dingern, Prinzessin«, sagte er dann in viel schrofferem Ton. »Hören Sie auf meinen Rat, und gehen Sie hin, und tun Sie, wofür Sie geboren wurden.«
»Und was soll das sein?«, wollte Ella wissen.
»Das soll heißen, verlassen Sie diesen Laden hier, heiraten Sie, ziehen Sie aufs Land, und bekommen Sie zwei Kinder.«
»Das ist das Letzte, was ich will«, fuhr Ella trotzig auf.
»Ach, machen Sie doch, was Sie wollen.« Oliver rauchte seine Zigarette zu Ende und verzog sich dann, ohne zu sagen, warum er überhaupt hereingekommen war.
Ella kochte und ließ ihre Wut an der Schreibmaschine aus, hieb so fest in die Tasten, als wären sie Oliver Charters’ Brustkorb.
Im Flur vor Ellas Büro verfluchte Oliver sich leise. Was zum Teufel war los mit ihm? Was scherte es ihn, womit sie ihr Leben verpfuschte? Nur weil er sie geküsst hatte, hieß das doch nicht, dass er sich verflixt noch mal für sie verantwortlich fühlen musste, als wäre sie ein hilfloses Kind oder so, und er wäre der Einzige weit und breit, der auf sie aufpassen könnte.
Emerald und Amber sahen einander an.
Während sie darauf wartete, dass ihre Mutter ihr antwortete, musste Emerald sich
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