Ein Haus für vier Schwestern
hängen, der Wagen drehte sich, krachte mit der Motorhaube gegen einen Felsblock. Die Airbags explodierten, füllten das Auto, drückten Rachel in den Sitz. Doch so schnell, wie sie sich geöffneten hatten, fielen sie auch wieder in sich zusammen. Rachel wurde gegen die Tür geschleudert, gegen das Armaturenbrett, gegen Jeff.
Sie schrie, oder zumindest glaubte sie das. Da war das Geräusch von Metall auf Fels, wie der Wagen sich auf dem Weg nach unten in die kleine Sandbucht am Fuß der Klippen überschlug.
Nach einer Ewigkeit, die nur einen Augenblick gedauert hatte, war alles vorbei. Sie landeten mit der rechten Seite nach oben. Das einzige Geräusch war das Zischen des Motors und das Donnern der Brandung gegen die Klippen.
»Alles okay?« Jeffs Stimme war ein ersticktes Wispern.
Ihr schmerzte der Kopf. Sie betastete ihre Schläfe und spürte etwas Klebriges, Feuchtes. Blut, viel Blut.
»Ich glaube schon.«
»Tut mir leid.« Er griff nach seinem Gurt. »Ich hätte …« Ein Schmerzensschrei.
»Was ist?«, wollte sie wissen. »Was ist los?«
»Himmel, mein Bein. Es tut weh.« Er beugte sich nach vorn und griff mit der rechten Hand nach unten. »Ich kann es nicht bewegen.«
Rachel fummelte an ihrem Gurt herum und suchte den Auslöser. So im Sitz verdreht, bekam sie kaum Luft. Ihre Rippen schmerzten wie von Messerstichen. Schließlich bekam sie ihn auf. »Lass mal sehen.«
»Das geht nicht. Es ist zwischen Tür und Sitz eingeklemmt.«
»Bist du sicher?« Sie konnte sich das nicht vorstellen. Da war nicht genug Platz. Und wie sollte das Bein dorthin geraten? Er musste sich irren.
»Doch. Ich kann es fühlen.«
»Kannst du die Tür aufmachen?«
»Nein, die drückt gegen einen Felsbrocken. Und mein Arm klemmt unter dem Sitz fest.« Er lehnte den Kopf zurück und schloss mit schmerzverzerrtem Gesicht die Augen. »Das Telefon.«
Jeff hatte sein Telefon immer in der Ablage unter dem Radio.
»Es muss rausgefallen sein.«
»Dann nimm deins. Wähl 112.«
Seine Stimme wurde schwächer. Sie konnte ihn kaum verstehen. Panisch schob sie die Airbags zur Seite und durchsuchte das Auto.
»Es ist weg.«
»Schau noch mal nach.«
Sie wühlte mit den Händen zwischen dem durcheinandergewirbelten Gepäck und den dummen Andenken, die sie für die Kinder gekauft hatten.
»Es ist nicht da. Es muss rausgefallen sein.«
Er nahm ihre Hand. »Geht es dir gut?«
»Ja.«
»Sicher?«
»Ja«, wiederholte sie. Er durfte auf keinen Fall das Blut sehen.
Die Sonne war untergegangen. Nur am Horizont stand noch ein schmaler roter Streifen. Bald wäre es stockfinster, wenn kein Mond schien. Kein Licht, um den Weg die Klippen hinauf zu sehen.
»Ich lasse dich nicht allein.«
»Wenn du das nicht tust, haben wir keine Chance.«
»Ich kann nicht.« Die Vorstellung, ihn zu verlassen, machte ihr Angst. »Jemand wird uns finden. Sie werden die Bremsspuren sehen.« Sie schaltete die Scheinwerfer ein. »Sie werden das Licht sehen.«
»Die Flut, Rachel.«
Zuerst begriff sie nicht, was er meinte. Dann setzte ihr Herzschlag aus. Er war gefangen. Wenn sie abwarteten und die Flut kam, würde diese Sandbucht verschwinden wie die meisten anderen an der Küste auch. Jeff würde ertrinken.
Sie presste ihr Gesicht gegen seine Hand.
»Versprich mir, dass du durchhältst.« Die Worte kamen aus der Tiefe ihrer Seele. »Jeff? Verdammt, Jeff! Du wirst mir hier nicht sterben.«
Er drückte ihre Hand. Blut lief ihm aus Ohr und Nase. »Geh.«
Er würde sterben. Sie wusste es, wie sie immer gewusst hatte, dass ihr ein wahres Glück verwehrt bleiben würde. Sie war befleckt, unwürdig, eine Missgeburt. Es gab eine dunkle Ecke in ihrer Seele, wo all diese Vorstellungen aufbewahrt wurden. Ihre innere Stimme mahnte sie stets, nicht allzu überrascht zu sein, wenn ihr etwas Schlimmes widerfuhr. Sie war dazu bestimmt, andere Menschen um ihr Glück zu beneiden.
»Gut, ich gehe.«
Sie rüttelte am Türgriff, die Tür klemmte. Also kletterte sie durchs Fenster und fiel in den Sand. Sie atmete scharf ein, als der Schmerz durch ihren Körper fuhr. Ihr tat alles weh, der Kopf, die Lunge, ihre Knie, sogar ihr Busen, auf dem der Sicherheitsgurt Striemen hinterlassen hatte.
Sie rollte sich auf die Seite, stützte sich auf zum Sitzen. Sekunden später floss Wasser über ihre Finger. Die brutale Wirklichkeit wurde ihr bewusst. Der Flutsaum war nur ein paar Meter vom Auto entfernt. Hatte Jeff recht? Lief die Flut auf? Oder lief sie ab? Panisch versuchte sie, sich
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