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Ein Haus für vier Schwestern

Ein Haus für vier Schwestern

Titel: Ein Haus für vier Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgia Bockoven
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Schwester.«
    Er schüttelte Ginger die Hand. »Joseph Kenton.«
    Rachel stemmte sich langsam in die Senkrechte. Dazu stützte sie sich auf der einen Seite auf der Matratze und auf der anderen am Fensterbrett ab.
    »Wie geht es ihm?«
    »Er liegt noch im Aufwachraum. In ungefähr einer Stunde können Sie ihn sehen. Wir haben genug von seinem Bein gerettet, um …«
    »Was heißt ›genug von seinem Bein‹?«
    Er fluchte leise, zog sich seine OP-Mütze vom Kopf und zerknüllte sie in den Händen. »Hat man Ihnen nichts gesagt?«
    »Nein.«
    »Bei dem Unfall wurde die Hauptschlagader im Oberschenkel abgedrückt. Dadurch war die Blutversorgung zum unteren Teil des Beins unterbrochen. Ohne Blut kein Sauerstoff, das Gewebe stirbt ab. Wenn dieser Fall eingetreten ist, haben wir keine andere Wahl mehr, als zu amputieren.«
    »Sie haben ihm sein Bein abgeschnitten?«, wiederholte Rachel. Sie hatte sich doch bestimmt verhört. Heutzutage schnitt man Menschen keine Beine mehr ab, man nähte sie ihnen wieder an. Über solche Fälle stand ständig etwas in der Zeitung. Jeff hatte seines noch. Warum konnte man es nicht retten?
    »Abgestorbenes Gewebe in einem großen Gebiet des Körpers kann zu einem Schockzustand und zum Tod führen«, sagte der Chirurg. Dann seufzte er. »Obwohl sein Arm in einem weitaus schlechteren Zustand war, bestand dort kein Problem mit der Blutversorgung. Den konnten wir retten.«
    Ginger näherte sich Rachel vorsichtig, um sie notfalls zu schützen. »Aber sonst ist er okay?«, fragte sie.
    »Seine Milz war gerissen und musste entfernt werden. Außerdem hat er fünf gebrochene Rippen, aber die heilen von allein. Der Beckenbruch wird ein paar Wochen brauchen, der Arm definitiv länger. Wir mussten die Knochen mit Platten und Schrauben fixieren. Die müssen irgendwann wieder herausgenommen werden.« Er schwieg, offensichtlich erschöpft. »Der Körper ihres Mannes war von den anderen Verletzungen in Mitleidenschaft gezogen worden und der Großteil des Gewebes in seinem Bein war bereits abgestorben – wir hatten keine andere Wahl. Um es deutlich zu sagen, Mrs Nolan, Ihr Mann hatte Glück, dass er rechtzeitig eingeliefert wurde.«
    »Wie viel mussten Sie abnehmen?«, fragte Rachel.
    »Bis zur Mitte des Oberschenkels. Ich wollte sichergehen, dass genug gesundes Gewebe für einen Stumpf vorhanden ist. Er wird keine Probleme mit der Prothese haben.«
    »Wenn schneller Hilfe da gewesen wäre, hätte das einen Unterschied gemacht?«, wollte Rachel wissen.
    Er schüttelte den Kopf. »Sogar wenn die Feuerwehr schon auf der anderen Straßenseite gewartet hätte, wäre er nicht rechtzeitig auf den OP-Tisch gekommen.« Er schob sich seine Mütze in die hintere Hosentasche, verschränkte die Arme und lehnte sich mit einer Schulter gegen die Wand. »Ich weiß, es ist schwierig für Sie. Doch Sie werden sehen, es ist nicht so schlimm, wie Sie im Augenblick glauben. Wenn es keine weiteren Komplikationen gibt, wird Ihr Mann wieder vollständig gesund. Er braucht Zeit zur Heilung und ein paar Monate Physiotherapie. Dann kann ihm eine Prothese angepasst werden. Er ist jung, fit und wird wieder alles machen können, was er gern möchte.«
    »Weiß er es schon?«
    »Noch nicht. Wir sagen es ihm, sobald er wieder ganz da ist.« Er richtete sich auf. »Sie werden Fragen haben, wenn Sie eine Weile nachgedacht haben. Wenn das Personal sie Ihnen nicht beantworten kann oder wenn Sie lieber mit mir persönlich sprechen möchten, können Sie mich über mein Büro erreichen. Hinterlassen Sie eine Nachricht und eine Telefonnummer. Ich werde mich dann so schnell wie möglich bei Ihnen melden.«
    Rachel streckte ihre Hand aus. »Ich danke Ihnen, Dr. Kenton.«
    Er nahm ihre Hand zwischen seine beiden. Sie waren riesig und warm. »Gern geschehen.«
    Dann war er weg, und Ginger steckte Rachel ins Bett. Als sie die Bettdecke richtete, hob sie den Kopf. »Machst du dir Sorgen, wie Jeff es verkraften wird?«, fragte sie.
    »Natürlich. Wie würdest du reagieren, wenn du aufwachst und dein Bein ist weg?«
    Ginger dachte darüber nach. »Nach dem, was ihr hinter euch habt, wäre ich wahrscheinlich froh, dass wir beide noch leben.«
    Wahrscheinlich hatte Ginger recht. Aber was konnte Logik gegen ein fehlendes Bein ausrichten? Es war ja nicht so gewesen, dass Jeff die Wahl zwischen seinem Leben und seinem Bein gehabt hätte. Es wäre im Nachhinein sicher leichter, den Verlust zu akzeptieren, wäre er an der Entscheidung beteiligt

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