Ein Haus für vier Schwestern
Verkehr war immer noch zu dicht, um auf die rechte Spur durchzukommen. Die anderen Fahrer zogen es vor, ihr verzweifeltes Blinken zu ignorieren.
»Das konnte ich nicht. Ich habe mich so geschämt«, gab sie zu.
Elizabeth sah ihre Tochter an. Stephanies Kinn zitterte, die Tränen liefen ihr über die Wangen. Sie war wieder ein Kind mit gebrochenem Herzen und erwartete von ihrer Mutter, dass sie alles wieder in Ordnung brachte. Wie sonst auch immer.
Komischerweise wallte Ärger in Elizabeth auf. Sie wechselte auf die Linksabbiegerspur, schoss vor dem entgegenkommenden Verkehr über die Straße und erwischte fast die Stoßstange eines grünen Wagens. Sie knallte gegen den Bordstein und schrappte sich den Unterboden am Beton auf. Dann steuerte sie den nächsten Parkplatz an und machte eine Vollbremsung.
Die folgende Stille war angespannt. Dann stieß Stephanie einen Jammerlaut aus. »Alles ist im Eimer. Meine ganzen Pläne … Meine Freunde werden alle ihren Abschluss machen und weiterstudieren. Ohne mich. Das ist so ungerecht! Ich hab so viel dafür gearbeitet.« Elizabeth wartete ab. »Ich wollte abtreiben, aber ich konnte es dann doch nicht tun.« Sie angelte in ihrer Handtasche nach einem Taschentuch. »Das ist Mord, Mom.«
»Wo hast du das denn her?« Soweit Elizabeth wusste, war Stephanie immer eine Verfechterin der freien Entscheidung gewesen.
»Sharons Mutter hat mir Fotos gezeigt, wie mein Baby aussehen würde, wenn sie es wegmachen. Sie hat gesagt, Abtreibung wäre eine Todsünde und ich würde dafür auf ewig in der Hölle schmoren.«
Elizabeth raubte der Zorn die Sprache. Welches Recht hatte Sharons Mutter, so mit Stephanie zu sprechen? Sie hatte ausgenutzt, dass ihr Kind schwach und wehrlos gewesen war.
»Warum bist du damit zu Sharons Mutter gegangen und nicht zu mir?«
»Ich habe gar nichts erzählt, das war Sharon.«
Elizabeth wusste nicht, ob sie Stephanie schütteln oder trösten sollte. Sie entschied sich schließlich fürs Trösten und zog sie in ihre Arme. Stephanie schluchzte und drückte den Kopf an die Schulter ihrer Mutter. Die Tränen mischten sich mit Schniefen und Schluchzen. Elizabeth griff ins Handschuhfach und drückte Stephanie eine Serviette in die Hand.
»Was ist mit dem Vater?« Elizabeth hatte noch nicht mal gewusst, dass Stephanie einen Freund hatte.
Stephanie schwieg. Sie wischte sich die Augen ab und schnäuzte sich. Als die Verzögerungstaktik zu offensichtlich wurde, rang sie sich zu einer Antwort durch.
»Was soll mit ihm sein?«
»Hast du es ihm gesagt?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
Stephanie rutschte auf ihrem Sitz hin und her und konnte ihr nicht in die Augen sehen. Ihre Antwort kam sehr leise.
»Es war auf einer Party. Ich war high. Es ist einfach passiert, und dabei mag ich ihn nicht einmal. Und er mag mich auch nicht.« Ihr Kinn begann wieder zu zittern. »Nicht gerade die ideale Ausgangslage für eine Beziehung oder ein gemeinsames Kind.«
»Ach, Stephanie.« Die Enttäuschung schnürte Elizabeth die Luft ab. Sie nahm ihre Tochter wieder in den Arm. »Bist du beim Arzt gewesen?«
»Nein.«
»Wie kannst du dann sicher sein, dass du schwanger bist?«
»Fünf positive Schwangerschaftstests sollten ausreichen.«
»Das müssen wir zu allererst erledigen.«
»Nicht zu Frau Doktor Cummings. Das ertrage ich nicht.«
»Du bist schwanger, Stephanie.« Sagte sie das wirklich? »Du musst jetzt ein paar Monate regelmäßig zum Arzt. Ist dir da nicht jemand lieber, den du kennst?«
»Muss ich ihr was sagen? Über den Vater, meine ich.«
»Sie wird wissen wollen, ob es einen Grund für einen Fruchtwassertest gibt.« Stephanie sah sie verwirrt an. »Ob es ein genetisches Problem von seiner Seite her gibt.«
»Und was soll ich ihr da sagen?«
»Darüber unterhalten wir uns später.« Irgendetwas würde ihnen schon einfallen, irgendetwas, um dieses unglaublich dämliche Verhalten zu rechtfertigen. »Jetzt müssen wir erst mal nach Hause und dein Zimmer herrichten.«
»Was wirst du Dad sagen?«
»Die Wahrheit.« Ihn würde sie niemals belügen, nicht einmal für Stephanie.
»Das kann du nicht machen. Er wird das nicht verstehen. Er wird mich hassen.«
Nein, natürlich würde er das nicht verstehen. Aber hassen würde er seine Tochter nicht. Er würde verärgert und enttäuscht sein und ihr mindestens ein Dutzend sinnloser Vorträge über ihr dummes Benehmen halten. Das würde ein bis zwei Tage dauern. Dann hätte er sich beruhigt und würde die Sache genauso
Weitere Kostenlose Bücher