Ein Haus für vier Schwestern
verblüfft. Das hatte sie nicht erwartet.
»Wenn du die Stelle annehmen willst, werden wir den Rest schon irgendwie hinbekommen.«
Das war gelogen. Sie war darauf angewiesen, dass er sich um Cassidy und John kümmerte. Sie waren darauf angewiesen.
»Die Firma sitzt in Michigan, Rachel.«
»Oh.«
In ihrem Gehirn überschlugen sich die Gedanken, was es bedeuten würde, wenn er einen Posten auf der anderen Seite des Kontinents annahm. Sie hatte kein Recht zu erwarten, dass er ablehnte. Ihre ursprüngliche Vereinbarung hatte gelautet, dass er zu Hause bleiben würde und nur freiberuflich Projekte betreute, bis die Kinder in die Schule kämen, und erst dann wieder zu arbeiten anfing. Dieser Zeitplan war bereits um über ein Jahr überschritten. »Was wirst du machen?«
»Ich werde das Angebot ablehnen.«
Ihr Herzschlag setzte wieder ein. »Bist du sicher, dass das okay für dich ist?«
»Du weißt, was ich will, Rachel. Kein Job und kein Geld der Welt werden daran etwas ändern.«
Für einen kurzen Moment öffnete sich eine Tür zu der Welt, in der sie früher gelebt, in der sie Jeff mit unerschütterlichem Vertrauen geliebt hatte. Sie wollte so sehr dorthin zurückkehren, dass es ihr wehtat.
»Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll.«
»Du musst gar nichts sagen. Ich habe dir das nur erzählt, weil ich glaube, dass sie sich bei dir melden könnten. Ich wollte, dass du darauf vorbereitet bist.«
»Du weißt, dass die Hälfte von Jessies Geld dir gehört.«
»Was hat das damit zu tun?«
»Du sollst nicht glauben, dass wir Geld brauchen.«
»Wir haben das Geld nie gebraucht, Rachel. Wir wollten welches haben.«
»Das ist doch jetzt egal. Wir haben es oder werden es in fünf Monaten haben.«
»Ich weiß, dass wir darüber schon gesprochen haben, aber ich sage es lieber noch einmal: Du musst es nicht nehmen.«
»Sieh es doch endlich ein, Jeff. Auch wenn du noch so sehr hoffst, ich würde die zehn Millionen ausschlagen – ich kann das nicht. Der Gedanke ist zwar sehr edel, aber ich möchte mich später auf keinen Fall fragen müssen, ob ich nicht einen Fehler gemacht habe. Wenn beispielsweise mit einem der Kinder etwas ist und wir uns wegen dieser großen Geste nicht die beste Hilfe leisten könnten.«
»Ich denke mal, er hat schon gewusst, was er da macht.«
»Wenn du damit sagen willst, dass Jessie davon ausgegangen ist, dass seine Töchter käuflich sind, dann hast du recht. Alle sind wir in Jessies Haus erschienen, sogar Elizabeth.«
»Warum ›sogar‹?«
»Sie war diejenige, die beim ersten Treffen verschwand, nachdem sie festgestellt hatte, dass sie Schwestern hat.«
Rachel hatte Jeff während eines von Cassidys Fußballturnieren ein paar Details erzählt, um die peinliche Stille zu überbrücken. Jetzt erzählte sie ihm etwas, weil sie es wichtig fand.
»Elizabeth und Christina sind ganz anders als ich und Ginger. Sie scheinen sich über ihre Gefühle für Jessie nicht im Klaren zu sein – es ist so eine Art Hassliebe. Auf der anderen Seite haben sie ihn im Gegensatz zu uns gekannt. Ginger hat im bereits verziehen. Warum auch nicht? Sie wusste bis vor ein paar Monaten noch nicht mal, dass es ihn überhaupt gab. Er hat ihr nie etwas angetan.«
»Und du?«
»Ich hatte all die Jahre eine feste Vorstellung von ihm. Aber er war überhaupt nicht so, wie ich gedacht habe. Zumindest nicht, wenn man seiner Geschichte Glauben schenkt.«
»Er macht euch doch nur was vor. Er will einen guten Eindruck bei euch hinterlassen.«
»Aber das ist es ja gerade, das tut er nicht. Zumindest bisher nicht.« Sie lehnte ihren Kopf gegen den Sitz. »Er erzählt die unglaublichsten Geschichten in einer sehr distanzierten, bescheidenen Art und Weise. Ich glaube inzwischen, dass ich ihn gemochte hätte, wenn ich nicht wüsste, wer er war und was er meiner Mutter angetan hat.«
»Hat er etwas über sie gesagt?«
»Noch nicht. Mit der Geschwindigkeit, in der er sich vortastet, dauert es bestimmt ein paar Monate, bis er bei Ginger und mir ist.«
»Glaubst du, er erzählt die Wahrheit?«
»Aus seiner Sicht, ja.«
Es machte ihr Angst, dass sie ihm womöglich glauben könnte. Dass er ihr die Vorstellung nehmen könnte, er hätte ihre Mutter nicht benutzt wie alle anderen Männer in ihrem Leben. Für die heranwachsende Rachel war der Hass auf ihren Vater ein Mittel zum Zweck und eine Entschuldigung dafür gewesen, wie ihre Mutter sich benahm.
Er war der Grund für ihren Schmerz, ihre Erniedrigung und ihre
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