Ein Haus für vier Schwestern
Türschloss bekommen. Sie hielt sich lange genug aufrecht, um Rachel anzurufen und auf dem Anrufbeantworter zu hinterlassen, dass sie gut nach Hause gekommen wäre und sich jetzt ins Bett legen würde. Sie versprach, sich zu melden.
Schließlich kroch sie ins Bett und rollte sich zusammen. Die Tränen versickerten in ihrem Kopfkissen, dann schluchzte sie untröstlich. Der Schmerz war unbeschreiblich.
Sie hatte sich niemals vorher so verzweifelt, allein und bloßgestellt gefühlt. Nicht einmal damals, als Marc ihr eröffnete, er würde zu Judy zurückkehren. Seine Gründe waren so überaus edel, gut und liebenswert gewesen. Er hatte es seinen Kindern zuliebe getan. Und sie hatte ihn verstanden – und ihn deswegen umso mehr geliebt.
Sie schämte sich weder ihrer Liebe noch dafür, seine Geliebte zu sein. Sie war seine Rettung vor der kontrollbesessenen, manipulativen und bösen Ehefrau. Vor der Frau, die sein Leben zur Hölle machte.
Aber woher kam dann die offensichtliche Zuneigung zwischen den beiden, die sie heute beobachtet hatte? Würden sich seine Kinder wirklich so ausgelassen verhalten, wenn zwischen ihren Eltern die von Marc beschriebenen Zustände herrschten? Wie konnte jeder seiner Tage so schrecklich sein, wie er behauptete, wenn er es war, der Judys Hand ergriff?
Scham überkam sie. Sie war nicht Marcs große Liebe, sie war die Andere. Sie war die Geliebte, mit der er die Sexspielchen spielte, bei denen sich seine Frau weigerte mitzumachen. Sie war ungefährlich, preiswert im Unterhalt und hatte keine ansteckenden Krankheiten. Was war sie unter dem Strich also für ihn?
Was hatte sie sich nur gedacht, als sie Freunde und Familie aufgegeben hatte, um Marc nach Kalifornien zu folgen? Warum hatte sie sich so sehr an ihn geklammert? Wie hatte sie sich so sehr selbst täuschen können, dass sie ihre Rolle nicht erkannte? Das war das Schlimmste.
Sechs Stunden später klingelte das Telefon. Sie lag immer noch im Bett. Das war bestimmt Rachel, die hören wollte, wie es ihr ging. Sie drehte sich um, räusperte sich und nahm den Hörer ab.
»Ich dachte schon, du bist nicht zu Hause und ich müsste deinem Anrufbeantworter erzählen, wie sehr ich dich vermisse.« Marc. »Wobei habe ich dich gestört?«
»Wo bist du?«, fragte sie tonlos.
»Im Hotel. Ich hätte dich früher angerufen, wenn ich nicht meinen Anschlussflug in Denver verpasst hätte. Ich bin gerade erst aufs Zimmer gekommen.«
Er machte es ihr leicht. Sie sollte ihm eigentlich dankbar sein, aber sie konnte nur daran denken, wie oft er sie in der Vergangenheit schon angelogen, wie oft sie ihm geglaubt hatte. Das tat ihr weh. Warum hatte sie sich nie gewundert, dass sie ihn immer nur auf seinem Handy und nie über die Hotelnummer anrufen sollte?
»Wie war der Flug?«
»Ich saß neben einem alten Paar, dass seine Enkel besucht hatte, und musste mir hundert Fotos ansehen.« Er lachte. »Hundert ist vielleicht übertrieben – aber nur ein bisschen.«
Musste er sich diese Geschichten vorher zurechtlegen oder kamen sie ihm einfach so in den Sinn? Die Einzelheiten waren kenntnisreich und unfassbar glaubhaft.
»Die Fahrt ins Hotel, wie war die?«
»Davon abgesehen, dass der Taxifahrer kein Wort Englisch sprach, ganz okay. Warum fragst du?«
»Aus keinem besonderen Grund. Mir fehlt Kansas City. Wie sieht es dort aus?«
Er lachte. »Wie immer. Hat sich nicht verändert. Ich verstehe sowieso nicht, was du an dieser Stadt findest.«
»Ich vermisse meine Freunde. Hier bin ich ziemlich einsam.«
»Ich sage dir doch dauernd, du sollst häufiger ausgehen. Was hast du heute gemacht?«
Er fragte nur, um ihr zu zeigen, dass er recht hatte. »Ich war mit Rachel unterwegs.«
»Super.«
»Und ihren Kindern.«
»Ah ja?«
»Erinnerst du dich an die Karten für den Freizeitpark, die ich geschenkt bekommen habe?«
Es folgte eine lange Pause. »Jetzt, wo du es sagst.«
»Wir waren heute dort.«
Die nächste Pause war noch länger. »Habt ihr euch amüsiert?«
»Zuerst schon.«
Er stieß einen langen Seufzer aus.
»Ich kann das erklären.«
»Klar. Du hast immer für alles eine Erklärung.«
»Nicht am Telefon. Gib mir eine Stunde.«
»Mach zwei draus. Du könntest ja deinen Anschlussflug verpassen.«
»Okay, geschieht mir recht. Versprich mir nur, dass du keine Dummheiten machst.«
»Welche zum Beispiel?«
»Dir irgendetwas einzureden.«
»Was?«
»Ich komme, so schnell ich kann.«
Sie legte das Telefon in die Ladestation, stieg aus dem Bett
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