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Ein Haus geteilt durch 8

Ein Haus geteilt durch 8

Titel: Ein Haus geteilt durch 8 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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Mathematik hattest, hast du dich im zweiten Jahr auf Untertertia auch in diesem Fach verschlechtert.«
    »Das ist nicht wahr«, fuhr der Junge auf, »das ist eine Gemeinheit vom Professor Knoblich, wenn er das behauptet.«
    »Du wirst doch deinen Professor nicht...«
    »Und ob das wahr ist. Das sage ich dem Knoblich glatt ins Gesicht. Mit einemmal fängt er an, mich zu schikanieren, nur, weil ich seine Frau dumm angeredet habe.«
    »Moment mal, Moment mal«, fiel Herr Pünder seinem Sohn ins Wort und hob die Hand wie ein Verkehrspolizist, der ein Fahrzeug stoppt, »was war da los?«
    »Na, da mußte ich mal vor paar Wochen die Hefte von der Massenarbeit dem Knoblich heimtragen, was seitdem der Pröls Ludwig machen muß, und wie ich in das Haus komme, wo er wohnt, da steht eine Person mit ‘nem Kopftuch und hochgebundenem Rock auf der Treppe und wienert mit dem Fuß die Stiegen blank. Und wie ich an ihr vorbei will, da fragt sie, wo ich hin will. Und da sage ich, daß ich bei Knoblich die Hefte von der Mathe abgeben soll. Und da sagt sie, ich soll sie ihr nur geben. Und da sage ich...«
    »Sage ich, sagt sie, sage ich, sagt sie, sage ich, sagt sie! Herrgott noch einmal, und daß du im Deutschen ein komplettes Rindvieh bist, scheint deinen Lehrern noch nicht aufgefallen zu sein, was?«
    »Soll ich nun weitererzählen oder nicht?« fragte der Junge mißmutig.
    »Also los! Da sagt sie...«
    »Nein, da sage ich! Ich sage also, nein, Fräulein, sage ich, ich soll die Hefte der Frau Professor Knoblich abgeben. Und da sagt sie, wofür ich sie denn eigentlich halte. Und da sage ich, daß ich mich mit Dienstspritzen nicht in Gespräche einlasse.«
    »Lieber Gott im Himmel!« ächzte Herr Pünder und preßte beide Hände vor die Augen.
    »Und da sagt sie...«
    »Hör auf!!!« brüllte der Oberregierungsrat.
    »Ja, warum? Du weißt doch noch gar nicht...«
    »Und da sagt sie, daß sie die Frau Professor Knoblich ist!« stöhnte Herr Pünder völlig erschlagen.
    »Auf Ehrenwort, du hast es erraten, Papa«, sagte der Junge achselzuckend, aber mit unverkennbarem Respekt vor so viel väterlicher Intelligenz.
    Herr Pünder saß eine Weile, wie von einem schweren Schlag getroffen, in seinem Sessel. Wirklich, in seiner Haltung war etwas, was an einen Boxer erinnerte, den der Gong gerade über die Runde gerettet hatte und der nun mit den Armen über den Seilen groggy in seiner Ecke hing. Die Zigarre war ausgegangen und schmeckte scheußlich. Auch die ersten Züge schmeckten noch widerlich, nachdem er sie wieder in Brand gesetzt hatte.
    »Ja, Thomas«, sagte Herr Pünder schließlich mit schwerer Zunge, »was machen wir nun mit dir? Denn mit der Schule dürfte es Schluß sein. Paragraph fünf Absatz zwei b...« Er schloß den Satz mit einer gramvollen Handbewegung.
    »Ach, Papa«, sagte der Junge und sah seinem Vater zum erstenmal voll ins Gesicht, und in seiner Haltung und in seiner Stimme lag ein Flehen, das auch Herrn Pünder veranlaßte, seinen Sohn anzuschauen, »da war neulich, vor drei Tagen, eine Anzeige von den DMF in der Zeitung.«
    »DMF? Was hat das nun wieder zu bedeuten?«
    »Deutsche Motoren-Fabriken, Papa! Kennst du die nicht? Na höre einmal, das ist doch eine Marke, die jedes Kind kennt. Entschuldige schon, ich meine, eine Pfundsfabrik! Und die sucht Lehrlinge. Ich habe die Anzeige ausgeschnitten. Wenn du sie vielleicht einmal lesen möchtest.«
    Herr Pünder nickte seufzend, und Thomas stob davon, um den Zeitungsausschnitt zu holen, für dessen Lektüre Herr Pünder die Lesebrille aufsetzte. Hm, es schien sich tatsächlich um ein bedeutendes Unternehmen zu handeln. Jedenfalls versprach das Werk jungen Leuten, die sich für den Bau von Flugzeugmotoren interessierten, kostenlose Berufsausbildung, Unterkunft in eigenen Lehrlingsheimen, und nach vollendeter Ausbildung Anstellung im eigenen Werk.
    Oberregierungsrat Pünder hüstelte scharf, als hätte er einen Belag in der Kehle. »Und da möchtest du hin, Tom?«
    Er hatte Tom gesagt. Wie lange hatte er nicht mehr Tom statt Thomas gesagt? Das letztemal im vergangenen Jahr in den großen Ferien, als mitten auf der Wanderung im Steinernen Meer zwischen Kärlinger Hütte und Riemannhaus das fürchterliche Unwetter losgebrochen war, und Thomas plötzlich die Regenhaut seines Vaters aus dem Rucksack holte, die er mitgenommen hatte, obwohl Herr Pünder kategorisch erklärte, wenn hier jemand etwas vom Wetter in den Bergen verstände, dann sei er es, und an ein Gewitter sei

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