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Ein Haus geteilt durch 8

Ein Haus geteilt durch 8

Titel: Ein Haus geteilt durch 8 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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Fingers auf und las stirnrunzelnd, während er Laute des Kummers und Unwillens von sich gab:

    Sehr geehrter Herr Oberregierungsrat!
    Es tut mir leid, Ihnen mitteilen zu müssen, daß Ihr Sohn Thomas, Schüler der IV A, leider auch im zweiten Jahr den Anforderungen der Klasse nicht entspricht. Während er im vergangenen Jahr dem völligen Versagen in Latein und Griechisch wenigstens ausgezeichnete Noten in Mathematik und in den realen Fächern entgegenzustellen hatte, haben sich seine Leistungen leider auch in diesen Fächern verschlechtert, während sie in den Sprachen völlig ungenügend geblieben sind. Damit ist nicht nur eine Versetzung in die höhere Klasse ausgeschlossen, sondern es obliegt mir die unangenehme Pflicht, Ihnen mitteilen zu müssen, daß nach §5 Abs. 2b der Schulordnung ein weiteres Verbleiben Ihres Sohnes in unserer Anstalt nicht möglich ist. Ich stehe Ihnen, sehr verehrter Herr Oberregierungsrat, zu einer mündlichen Aussprache gern zur Verfügung, werde Ihnen aber als alter Schulmann mit reicher Erfahrung wohl auch dann nicht mehr sagen können, als daß Ihr Sohn Thomas wohl mehr zum praktischen Leben begabt ist...

    »Zum praktischen Leben begabt ist!« stöhnte Herr Pünder. »Hast du es gehört, Elisabeth? Pffffffffff! Zum praktischen Leben! Schlosser, Schreiner, Metzger, Bäcker, Spengler! Das ist es, was der Schulmeister unter praktischem Leben versteht und was er mir unter die Nase reiben will!«
    »Reg dich bitte nicht auf, Nikolaus, denk an deinen Magen.«
    »Maurer, Zimmermann, Mechaniker, Böttcher, Schmied, hihihi! Praktisches Leben!«
    »Nun, Nicki, eine Schande ist es wohl nicht, in einem Handwerk etwas Ordentliches zu leisten«, sagte sie nervös.
    »Red doch keinen Stuß, Elisabeth, wer spricht hier von Schande? Mir wäre manchmal wohler, wenn ich Maler und Tapezierer wäre wie unser Meister Kellermann, und einen Mercedes besäße, und am Ersten gesalzene Rechnungen ausschreiben könnte. Aber daß wir einen Trottel zum Sohn haben, das geht mir gegen den Strich.«
    »Versündige dich nicht, Nikolaus, ich bitte dich. Wie kannst du so etwas sagen? Jeder ist nun einmal nicht für Sprachen - und für die alten Sprachen zumal - talentiert.«
    »Talentiert. Wenn ich das schon höre. Es gibt kein Talent. Aber es gibt etwas anderes, und das heißt: Fleiß, Pflichterfüllung, eisernes Dranhalten. Und daran fehlt es dem Jungen. Von mir kommt das nicht.«
    »Willst du damit etwa sagen, daß es von mir kommt?«
    »Unterstelle mir gefälligst nichts, was ich nicht behauptet habe, Elisabeth. Immerhin ließ dein Vater sich mit achtundfünfzig Jahren pensionieren.«
    »Aus Gesundheitsrücksichten! Ich muß doch sehr bitten.«
    »Hihi! Aus Gesundheitsrücksichten. Und dann wurde er vierundachtzig. Aber lassen wir das.«
    »Darum wollte ich dich gerade dringend bitten«, sagte Frau Pünder ein wenig schrill. »Und im übrigen ist Thomas ein guter Mathematiker, was man von dir wirklich nicht gerade behaupten kann. Jedenfalls hast du früher mit deinen schlechten Noten in der Mathematik geradezu renommiert, auch vor den Kindern, so daß ich manchmal geradezu gezwungen war, dich zu bremsen.«
    »Mathematik, das ist nun wirklich ‘ne Sache der Begabung. Und so schlecht, wie du tust, war ich darin ja auch gar nicht. Aber bitte«, er schlug auf den Brief des Direktorats, »da hast du es schwarz auf weiß: In den realen Fächern ist Thomas auch schlechter geworden. Und jetzt ruf mir den Burschen einmal herein.«
    »Aber bitte, keinen Krach, Nikolaus.«
    »Überlaß das, bitte, mir. Und im übrigen: Bierkutscher schlagen daheim Krach. Wenn ich Krach mache, ist das ganz was anderes.«
    Der Junge kam mürrisch und mit eingezogenem Hals ins Zimmer. Sein Klassenleiter hatte ihm bereits verkündet, daß ein flauer Brief< unterwegs sei, und er hatte eine Weile mit sich gekämpft, ob er sich krank stellen, daheim bleiben und den Brief aus dem Kasten fischen und unterschlagen solle. Aber dann hatte er doch beschlossen, dem Schicksal seinen Lauf zu lassen.
    »Du weißt wohl bereits, weshalb ich dich rufen ließ, wie?«
    »Nee, keinen Schimmer«, murmelte der Junge, ohne seinen Vater anzusehen.
    »Ein Brief ist von der Schule gekommen. Wieder mal einer. Und deine Versetzung ist in Frage gestellt, das heißt, nicht einmal in Frage gestellt, sondern sie kommt überhaupt nicht in Frage. Aber nicht nur das. Während du früher für das völlige Versagen in den alten Sprachen wenigstens einen Ausgleich in der

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