Ein Haus geteilt durch 8
zurückwogten und beim Schließen der Tür wieder heranquollen. Alle Stühle und Plätze waren besetzt. Niemand rückte zur Seite und niemand beachtete ihn. Er hatte auf Sabines Anraten einen grauen Flanellanzug gewählt, nicht gerade den besten von den fünf Anzügen, die er von daheim mitgenommen hatte. An den Ärmeln und Aufschlägen ließ der Flanell schon Wolle, aber hier wirkte er so, daß der Portier seine Füße von der Theke nahm.
»Zimmer, der Herr?«
»Nein, ich wollte zu Herrn Henrici.«
Der Grünbeschürzte schwang die Beine wieder hoch und deutete nur noch mit dem Daumen in die Ecke, wo seine zukünftigen Kollegen saßen. Werner war nicht ganz wohl dabei, und er mußte einmal Luft holen, ehe er dazutrat: »Na, meine Herren, wie wär’s, wenn Sie ‘n bißchen zusammenrücken würden.«
»Aber klar doch, Herr Baron.«
Und der, neben den er zu sitzen kam, sagte nach flüchtiger Musterung seiner Schuhe: »Neu in der Branche, wie?«
»Nee. Hab’ in Baustoffen gemacht.«
»Baustoffe«, sagte einer, dem der linke obere Schneidezahn fehlte, »das is Franz und das is Frieda, und das is dieselbe Scheiße wie die da!« Und bei jedem S spritzte ein wenig Speichel durch die Zahnlücke.
Ein Herr in einem hechtgrauen Freskoanzug, schwarze Halbschuhe, blaue Krawatte, am kleinen Finger der linken Hand ein erbsengroßer Brillant, kam die Hoteltreppe herunter und verhielt auf der vorletzten Stufe.
»Henrici«, lachte er laut und grüßte durch ein Kopfnicken.
Die zwölf oder fünfzehn Männer erhoben sich, drückten ihre Zigaretten aus und gingen langsam auf die Treppe zu, auf der Herr Henrici stehen blieb, auch die längsten unter ihnen um zwei Köpfe überragend.
»Ich brauche vier Herren!« sagte er scharf.
»Hamse aber in der Annongse nich jeschrieben«, murrte der, dem der Schneidezahn fehlte.
Herr Henrici beachtete den Einwurf nicht. Er schien Menschenkenner zu sein, denn seine Musterung dauerte knapp drei Sekunden. Der kleine Finger mit dem Brillanten stach viermal in die Luft: »Sie, Sie, Sie und Sie, wollen Sie mir folgen.« Und er drehte sich um und ging die Treppe wieder empor. Unter den Herren, die er gewählt hatte, befand sich neben dem jungen Mann mit dem bunten Schal und dem verteufelten Schnurrbart auch Werner Fröhlich. Die Menschenkenntnis von Herrn Henrici entpuppte sich als Schneiderpsychologie; er hatte die Leute mit den besten Anzügen gewählt, wobei auch noch das Lebensalter eine gewisse Rolle spielte, denn keiner der vier Gewählten war älter als dreißig Jahre.
Es ging eine Treppe hinauf und dann links durch einen Korridor in ein ziemlich schäbig möbliertes Zimmer hinein, in dem ein Mann in brauner Hose und großkarierter Jacke im Reitsitz, die Arme auf der Lehne und das Kinn auf die Fäuste gestützt, auf einem rot bezogenen Plüschstuhl saß und die Eintretenden, ohne seine Haltung zu ändern, kühl wie ein Sklavenaufkäufer musterte. Es war außer seinem Stuhl nur noch ein Hocker vorhanden. Das Bett links an der Wand war von einer resedagrünen Tagesdecke verhüllt. Auf dem ovalen Mahagonitisch, einem Stück aus einem Salon der achtziger Jahre, lag ein graues Lederetui und daneben ein elektrischer Rasierapparat.
»Das ist Herr Paulig, unsere Verkaufskanone«, sagte Herr Henrici mit der Handbewegung eines Dompteurs, der seinen besten Löwen vorstellt, »tausendfünfhundert Eier im Monat - und wenn’s gut geht, zwei Mille. Stimmt’s?«
»Stimmt«, brummte die Kanone, ohne den Mund zu bewegen.
»Natürlich keine Rede davon, daß einer von Ihnen auch nur annähernd an den Mond rankommt. Aber zeigen kann Paulig es Ihnen, wie man’s macht - und wenn Sie es begriffen haben, dann können Sie leicht auf fünf- oder sechshundert im Monat kommen. Einer von den Herren motorisiert?« Die Herren schwiegen.
»Also nicht, liebe Tante. Aber wenigstens darf ich Berufserfahrung voraussetzen, wie?«
Die Herren nickten stumm.
»Na also. Dann kann ich die Schürze von der lieben, guten, alten Kinderfrau ja ablegen, denn dann wißt ihr ja Bescheid, Männer, daß es keine verdammtere Schinderei gibt, als von Tür zu Tür zu laufen und was verkaufen zu wollen. Aber um auch das gleich zu sagen: unser Apparat ist erstklassig! Und ihr werdet aus Erfahrung wissen, daß man an ‘ne Sache mit ganz anderem Schwung rangeht, wenn man weiß, daß man den Leuten keinen Schund andreht. Bei unserem Apparat gibt es keine Reklamationen. Seht euch das Ding an und nehmt euch Prospekte mit, damit ihr
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