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Ein Haus geteilt durch 8

Ein Haus geteilt durch 8

Titel: Ein Haus geteilt durch 8 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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das? Er lauschte fünf Minuten, er lauschte zehn Minuten, und griff zu der Stielglocke und sandte drei kräftige Schwünge zu seiner Schwester hinüber.
    »Elfriede! Geh sofort hinauf und frage nach, ob das Volk dort oben völlig wahnsinnig geworden ist! Fängt das mitten in der Nacht zu sägen und zu hämmern an!«
    »Aber Reichen! Die jungen Leute sind doch heute nachmittag erst eingezogen! Da muß man doch ein Auge zudrücken.«
    »Habe sogar die Absicht, beide Augen zuzudrücken, aber der Teufel soll mich holen, wenn das bei dem Lärm möglich ist!«
    »Warte doch wenigstens noch ein paar Minuten ab.«
    »Zehn Minuten und keine Sekunde länger. Wenn dann nicht Ruhe ist, klopfst du mit dem Besen gegen die Decke, verstanden!«
    »Ja, Reichen, mit dem Besen gegen die Decke. Und versuch jetzt, zu schlafen.«
    »Grüne Radler!« knurrte der Oberst. »Möchte wissen, wen man da ins Haus gekriegt hat!«
    Aber nach ein paar Minuten verstummten die Hammerschläge und das Sägegeräusch, und die jungen Leute, die man da ins Haus gekriegt hatte, zogen die Schlafcouch auseinander, um ihr Nachtlager aufzuschlagen. Werner saß links auf dem Bettrand und löste seine Schnürsenkel, und Sabine saß rechts und rollte ihre Strümpfe herab.
    »Sag einmal, Werner, kostet so ein Studium sehr viel Geld?«
    »Hm, natürlich, eine ganze Menge. Weshalb fragst du?«
    »Laß uns doch einmal rechnen, Wernerchen.«
    Er hielt den Schuh sekundenlang in der Hand, drehte ihn um und prüfte Sohle und Absatz.
    »Nein, Süße!« sagte er nachdrücklich. »Es kommt überhaupt nicht in Frage, daß du mir etwa das Studium bezahlst. Das war es doch, was du ausrechnen wolltest, nicht wahr?«
    »Es studieren doch nicht nur Söhne von reichen Leuten.«
    »Hör zu, Bienchen: Wenn ich die Absicht hätte, weiterzustudieren, dann würde ich auch Mittel und Wege finden, um es zu schaffen. Aber ich will nicht. Ich will wirklich nicht! Tu mir den Gefallen und sprich nicht mehr davon. - Im Augenblick aber bin ich - um auch das zu sagen - von Herzen froh, daß du eine Stellung hast und so viel verdienst, daß du uns im Notfall alle beide über Wasser halten kannst.«
    »Genau das wollte ich dir sagen, Wernerchen. Wenn wir bescheiden und vernünftig sind, dann können wir durchkommen. Und daran sollst du immer denken, wenn du dich um irgendeinen Verdienst bemühen wirst. Beiß nicht aus lauter Angst und aus dem Gefühl, du müßtest jetzt etwas tun, um Geld zu verdienen, gleich in den ersten Knochen, der dir vorgeworfen wird. Nein, du mußt auch mit dem Herzen dabei sein, und es muß dir Freude machen. Versprichst du mir das?«
    »Ich verspreche es dir feierlich, Süße«, sagte er und ließ sich rücklings in sein Bett fallen.
    »Lieber Gott«, rief sie erschrocken, »an alles habe ich gedacht oder fast an alles, aber daß wir keine Gardinen an den Fenstern haben, das ist mir nicht eingefallen.«
    Er hob den Kopf und schaute in das kleine Viereck, vor dem dunkel der Himmel stand.
    »Laß nur, Süße, so ist es viel bequemer, wenn ich dir einmal einen Stern vom Himmel pflücken will, und außerdem wohnen wir so hoch, daß uns niemand in die Fenster sehen kann.«
    Sie zögerte, sich das Kleid abzustreifen.
    »Es ist mir doch lieber, wenn du das Licht ausdrehst.«
    Und er streckte die Hand und löschte die kleine Lampe.

    Diese Tage endeten nicht nur in der kleinen Mansarde mit Sorgen um die Zukunft. Bei Oberregierungsrat Pünder steckte der Briefträger einen blauen Umschlag in den Kasten, den Frau Pünder wenigstens so lange vor ihrem Mann verbarg, bis er sein Kalbsschnitzel verspeist hatte, denn Aufregungen schlugen sich bei ihm stets auf den Magen. Und außerdem war er gesättigt bedeutend umgänglicher. Auch ohne den Aufdruck des Absenders hätte Frau Pünder den Inhalt des Briefes sofort geahnt, denn Umschläge von dieser blaugrauen Farbe verwandte nur das Direktorat des Gymnasiums. Es war eine halbe Stunde nach dem Essen, Herr Pünder hatte die blonde Zigarre bis zur Hälfte geraucht, als sie den Brief aus ihrem Nähkästchen holte, um ihn ihrem Gatten zu übergeben.
    »Da ist ein Brief gekommen, Nicki. Ich fürchte fast, er betrifft Thomas, denn er kommt von der Schule.«
    »Himmel!« ächzte er. »Der Bengel wird es uns doch nicht antun und zum zweitenmal kleben bleiben!«
    Frau Pünder hob die Schultern, aber sie schaute düster drein wie Kassandra kurz vor dem Untergang von Troja. Der Oberregierungsrat schlitzte den Umschlag mit dem Nagel des kleinen

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