Ein Haus geteilt durch 8
sicherlich ebenso schwer sind wie der Verkauf von Rasierapparaten.«
»Die Rasierapparate scheinen dir schwer auf dem Gemüt zu liegen«, grinste Werner. »Aber laß uns später von diesen Dingen sprechen, im Augenblick habe ich keinen Kopf dafür.«
Frau Charlotte erwartete die beiden Männer vor dem Zimmer, in dem Sabine sehr blaß auf dem Kissen lag. Sie schlug die Augen auf, als Werner sich über ihr auf Zehenspitzen näherte. Ihre dunklen Wimpern zitterten über den violett wirkenden, übergroßen Pupillen.
»Ach, Werner, habe ich dich sehr erschreckt?«
»Still, Süße«, flüsterte er und küßte sie zärtlich auf den Mund, »schlaf jetzt«, und er legte ihr die Nelken aufs Bett und trat zurück, um seinen Eltern Platz zu machen. Hinter einer Glaswand stehend durften sie später das Neugeborene bewundern.
»Fünfeinhalb Pfund«, murmelte Werner, »ziemlich wenig.«
»Ein entzückendes, kräftiges Kind«, stellte seine Mutter fest.
»Und alles in Ordnung?« fragte Werner die Säuglingsschwester, die ihnen die kleine Gabriele im Steckkissen präsentierte, »Zehen, Finger, Ohren?«
»Alles, wie es sich gehört«, versicherte die junge Schwester.
»Aber wenig Haare für ein Mädchen, wie?«
»Also direkt mit Zöpfen werden Kinder nicht geboren«, sagte seine Mutter empört, »und nun kommt endlich! Das Kind braucht Ruhe.«
Werner verabschiedete sich von seiner Tochter mit einem langen Blick. Er schien nicht ganz befriedigt zu sein. So krebsrot hatte er sich Sabines Tochter nicht vorgestellt, und auch nicht so verschrumpelt wie einen überlagerten Apfel.
»Süß, dieses Köpfchen«, rief seine Mutter entzückt, »genauso hast du ausgesehen, genauso!«
»Kommst du mit uns heim, Werner?« fragte sein Vater.
»Ich habe das Motorrad dabei. Aber wahrscheinlich komme ich im Verlaufe des Abends bei euch vorbei. Hast du übrigens zufällig einen Zollstock, Vater?«
»Ich glaube, daß Wollke ein Bandmaß im Wagen hat. Wozu brauchst du es jetzt?«
Wollke hatte tatsächlich ein Metallmaß im Handschuhkasten, das er aus einer Nickelkapsel schnellen ließ.
»Was mißt du da nur ab, Werner?« fragte seine Mutter.
»Dreiundfünfzig Zentimeter... Das ist aber furchtbar wenig.«
»Wenn es dich beruhigt, lieber Junge: du hattest nur einundfünfzig Zentimeter Steißscheitellänge.«
»Steißscheitellänge? Ach so, ich verstehe. Und ich hatte nur einundfünfzig? Schau einmal an, dann ist dreiundfünfzig ja ganz ordentlich, wie? Also auf Wiedersehen!«
»Und vergiß nicht, dich bei Frau Lindberg zu bedanken, Werner! Sie war es nämlich, die das Auto bestellte und mich anläutete.«
Der Zettel von Frau Lindberg, den er daheim an der Tür fand, erinnerte ihn an den Auftrag seiner Mutter. Zunächst mußte er natürlich Holldorfs Bescheid sagen. Sie gratulierten ihm herzlich, und die Kinder fragten, ob sie Sabine in der Klinik besuchen und sich die kleine Gabriele ansehen dürften. Besonders Anni war davon begeistert, einen richtigen Säugling ohne Zähne täglich sehen und später vielleicht sogar ausfahren zu dürfen. Werner legte sich ihr gegenüber mit Versprechungen nicht fest, aber er versicherte der Kleinen, daß er sich bei Sabine sehr dafür einsetzen werde, daß Anni die kleine Gabi zumindest im Hof des Hauses herumfahren dürfe.
Das ganze Haus schien auf seine Heimkehr gewartet zu haben. Frau Mallzahn beglückwünschte ihn auf der Treppe, ebenso Fräulein Elfriede von Krappf, sogar der Oberst schlug ihm wohlwollend auf die Schulter und schnarrte: »Tüchtig! Tüchtig!« Frau Pünder bot ihm ein Kinderbettchen an, es stand auf dem Speicher und war noch wie neu, und Frau Dr. Clothilde Leghun fand fünfeinhalb Pfund großartig; denn ihr Roderich habe nur knapp vier Pfund gewogen und habe zuerst eine ganze Woche lang im Brutapparat liegen müssen und sei doch groß und kräftig geworden. Bei Dr. Lindberg wurde Werner in die Wohnung gebeten, und Lindbergs ließen es sich nicht nehmen, mit ihm auf die Geburt der kleinen Gabriele und auf Sabines Gesundheit anzustoßen. Dr. Lindberg holte eine Flasche Wein aus dem Keller, einen Rupperts-berger Reiterpfad, der ohne Tücke war. Dr. Lindberg war zwar kein Sammler, aber er wußte einen guten Tropfen zu schätzen und trank seinen Wein mit Kennerschaft.
»Sie müssen einmal den Keller meines Vaters kennenlernen, Herr Doktor.«
»Ich habe davon schon gehört.«
»Vielleicht haben Sie auch gehört, daß es zwischen meinem Vater und mir eine kleine
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