Ein Haus geteilt durch 8
Sabine stürzte; es sah aus, als sänke sie auf der ersten Treppenstufe in die Knie. Sie wollte sich aufrichten, aber bei dem Versuch, sich am Geländer hochzuziehen, durchzuckte sie ein schneidender Schmerz.
»Um Gottes willen!« schrie Frau Lindberger auf und kniete neben ihr nieder. »Haben Sie sich weh getan?«
Sie sah Sabines schmerzverzerrtes Gesicht und wußte genug.
»Können Sie wenigstens ein paar Schritte gehen?«
»Ich will es versuchen«, stöhnte Sabine und kam mit Frau Lindbergs Hilfe auf die Beine. Halb gehend und halb von Frau Lindberg getragen, gelang es ihr, sich bis ins Lindbergsche Wohnzimmer zu schleppen, wo sie schmerzverkrümmt in einen Sessel sank.
»Wo ist Ihr Mann?«
»Es hat keinen Zweck. Er ist nicht erreichbar.«
»Dann läute ich das Sanitätsauto an.«
»Bitte, wenn Sie so gut sein wollen.«
Frau Lindberg fand die Nummer auf der ersten Seite des Telefonbuchs und drehte die Wählscheibe. Die Verbindung kam augenblicklich zustande. »Ja, eine Geburt. Die junge Frau ist an der Treppe hingefallen. Mozartstraße 36!« Sie drehte sich um und lächelte Sabine ermutigend zu: »Das Auto ist in zehn Minuten hier. Man fragte, ob Sie alles vorbereitet haben.«
»Einen kleinen Koffer. Er steht links neben der grünen Couch in unserem Wohnzimmer.«
»Geben Sie mir Ihre Schlüssel, ich hole ihn.«
»Sie sind sehr lieb.«
»Das ist doch wohl nicht mehr als selbstverständlich.« Sie eilte davon und kam nach kurzer Zeit mit dem Köfferchen zurück. Sabine preßte vor Schmerz die Fäuste gegen die Augen.
»Könnte ich sonst jemand benachrichtigen?« fragte Frau Lindberg ängstlich und horchte nervös auf das Signal des Autos.
»Meine Schwiegereltern. Ich kenne die Nummer leider nicht auswendig. Dr. Arnold Fröhlich. Wenn Sie bitte Frau Charlotte Fröhlich verlangen würden.«
Frau Lindberg stutzte einen Augenblick. Das waren doch nicht etwa die Fröhlichs von dem großen Bauunternehmen? Sie blätterte im Telefonverzeichnis.
»Dr. Arnold Fröhlich. Fröhlich & Söhne KG. Es gibt nur den Inhaber der Baufirma im Telefonverzeichnis.«
»Es sind die Eltern meines Mannes.«
In diesem Augenblick ertönte draußen das unverkennbare Hupensignal des Sanitätswagens. Frau Lindberg eilte zum Fenster und winkte die beiden Männer heran, von denen einer die Tragbahre mitbrachte. Aus Sabines Gesicht war alle Farbe gewichen. Sie wollte es ablehnen, sich hinaustragen zu lassen, aber bei dem Versuch, sich aufzurichten, wäre sie zusammengesunken, wenn die Sanitäter sie nicht gestützt hätten.
»Nun kommen Sie schon, junge Frau«, sagte der ältere von den beiden gemütlich und half Sabine auf die Trage, »es ist besser so -und bequemer für Sie.«
Frau Lindberg lief neben Sabine her und versprach ihr, ihre Schwiegereltern sogleich anzuläuten.
»Und passen Sie bitte auf, Frau Lindberg, wenn mein Mann heimkommt.«
»Ich warte auf ihn und hänge außerdem noch einen Zettel an Ihre Tür, daß er sofort zu mir kommen soll.«
Sabine wurde in den Wagen geschoben, wie man Brote in den Backofen schiebt - ein kleiner Menschenauflauf bildete sich um den Wagen, ein paar Köpfe reckten sich aus den Fenstern des Hauses, Frau Mallzahn, Frau Pünder und ihre Zugehfrau, die gerade die Scheiben blank rieb, und dann fuhr der Wagen davon. Im letzten Augenblick fiel es Frau Lindberg noch ein, die Sanitäter zu fragen, wohin die Fahrt ginge. Das Ziel war die Universitäts-Frauenklinik.
Frau Lindberg ging mit weichen Knien in ihre Wohnung zurück. Sie faltete einen Augenblick lang die Hände, als bete sie zu Gott, daß alles gut abgehen möge. Dann läutete sie Sabines Schwiegermutter an. Fast wagte sie es nicht, daran zu glauben, daß dieser Werner Fröhlich, dessen Namen auf dem komischen kleinen Blechschild zudem noch falsch geschrieben war, wirklich ein Sohn von Dr. Arnold Fröhlich und ein Enkel des alten Kommerzienrats sein könnte, dessen Namen sogar ihr Mann mit einem gewissen Respekt aussprach. Nun, die Wirkung des Anrufes überzeugte sie davon, daß die junge Frau nicht im Fieber gesprochen hatte. In der gleichen Sekunde, in der drüben eingehängt wurde, drückte sie auf die Gabel und rief die Redaktion des Generalanzeigers an, um ihrem Mann zunächst von dem Unglücksfall an der Treppe zu berichten.
»Und weißt du, wer der junge Ehemann ist, Lindberg?« fragte sie mit einer Stimme, die ein dunkles Geheimnis andeutete.
»Wenn du schon so fragst, Gitta«, sagte er, und sie sah im Geiste seine gescheiten
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