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Ein Haus in Italien

Ein Haus in Italien

Titel: Ein Haus in Italien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa St Aubin de Terán
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damit, Autos mit zehntausend malzunehmen, um auszurechnen, wieviel er pro Woche, pro Monat und pro Jahr verdienen würde. Er zerstritt sich mit seiner Schwester, als sie sich weigerte, ihren Verehrern Eintrittsgebühr abzuknöpfen. Am Montagmorgen stellte Imolo Allies Mautschild am Rande unseres holprigen Weges unter einem kümmerlichen Olivenbaum auf.
    Als das Schild stand, bemerkte Imolo, daß aus dem baufälligen Lagerraum im Parterre einige seiner Werkzeuge fehlten. Alle Arbeiter überprüften ihr Werkzeug und entdeckten mehrere kleinere Diebstähle. Imolo nahm das Gesetz in seine Hände und donnerte in seinem verbeulten kanariengelben Fiat 500 davon, um Schlosser Nummer Zwei Gelsomino zu suchen. Zwanzig Minuten später waren sie wieder da, Imolo wirkte immer noch beleidigt, der alte Gelsomino ausgesprochen beschwipst. Imolo stapfte umher, diskutierte und bestellte dann eine Schranke der Art, wie sie an Grenzen und Bahnübergängen üblich sind.
    Aufgrund des Besucherstroms für die Arbeiter, die Beauties, Iseult und uns, der häufigen Anlieferung von Sand, Zement, Steinen und Werkzeugen sowie der noch häufigeren Fahrten der Arbeiter ins Dorf und zurück erwies sich diese Lösung bald als unpraktisch. Groß war die Zahl kreativer Verwünschungen, die den Namen der Madonna mit allen üblichen Haus- und Nutztieren verbanden, darunter auch einige exotischere Neuschöpfungen wie: »Madonna Boa Constric
tor!« Dann lenkte Imolo ein, nicht ohne mit den beigen Overall-Schultern zu zucken und den Kopf zu schütteln, als wolle er sagen, statt des Schlagbaums könne man ebensogut das Tor zur Hölle öffnen; er persönlich übernehme dafür keinerlei Verantwortung. Als der willfährige Gigi die Vorhängeschlösser entfernte, grub Imolo eine weitere verkrumpelte Zigarette aus seiner Brusttasche und setzte sich zum Rauchen auf einen großen Stein. Danach wurde der Schlagbaum nur nachts und an Wochenenden geschlossen. Er hielt Neugierige und Pilzsucher ebenso fern wie eventuelle Diebe und Banditen. In der Folge konnte die nächtliche Invasion der Begleitfahrzeuge zu meinem geheuchelten Bedauern nicht länger mit laufendem Motor in unseren zukünftigen Garten einfallen.
    Die Ausflüge bis zum frühen Morgen gingen davon unbeeinflußt weiter. Schlosser Nummer Zwei Gelsomino war ein wettergegerbter Siebzigjähriger mit listigem Lächeln und häufigem Schmollmund, wie ein Bub, der geküßt werden möchte. Sein Sohn Leonardo war kaum älter als zwanzig und sah aus, als sei er direkt aus einem Fresko des Piero della Francesca herabgestiegen. Er hatte die Lippen seines Vaters, und die Beauties und das Kind verbrachten viele Abende mit ihm und seinen Freunden auf der Tanzfläche.
    »Bist du nicht müde, wenn du die ganze Nacht tanzt?« fragte ich ihn eines Tages, als er hochkam, um Imolo beim Mauern zu helfen.
    »Aber wir tanzen nicht die ganze Nacht«, schmollte er. »Wir fahren zu verschiedenen Diskotheken an verschiedenen Orten. Du weißt ja, bis Rimini ist es ganz schön weit.«
    »Ah«, sagte ich, nicht viel klüger. Rimini liegt an der Küste. Aber die Regelmäßigkeit und die Dauer der Ausflüge hat
ten meine Neugier geweckt. Sie schienen randvoll mit Flirts, aber ohne expliziten Sex. Außerdem war San Orsola ein Dorf, in dem fast alle Bewohner das Überqueren der Gemeindegrenze als Schritt über den Rand der Erde empfanden. Die einzige Ausnahme waren die Disco-Gänger, zwischen fünfzehn und fünfundzwanzig Jahre alt, eine Meute lediger und unermüdlicher Tänzer. Ich wußte ferner, daß das Kind Iseult selten Geld hatte und die Beauties für einen Hungerlohn »arbeiteten«, daß sie sich also das teure Essen und die Eintrittspreise nicht leisten konnten. Getränke fielen wohl, jedenfalls beim Kind, nicht sehr ins Gewicht, da sie der Coca-Cola-Fraktion angehörte. Wie für viele ihrer hiesigen Gleichaltrigen war für sie ein ordentlicher Schluck ein halber Liter Orangenlimonade.
    »Wer bezahlt dein Essen?« fragte ich sie eines Nachmittags, als sie aus ihrem Schlaf erwachte. »Und wieso hat auch nur einer von ihnen genug Geld, um dich jeden Abend zum Essen einzuladen?«
    »Sie laden mich nicht zum Essen ein, Mamma«, sagte sie. »Sie bezahlen meinen Eintritt und sonst nichts.«
    »Und was ißt du? Du ißt nie, bevor du fortgehst.«
    »Mir wird im Auto schlecht, Mamma«, erzählte sie mir. »Wir fahren die ganze Nacht gemeinsam umher. Manchmal fahren wir nach Rimini, manchmal nach Perugia. Wir fahren nach Florenz und Siena,

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