Ein Haus in Italien
Arezzo und Foligno. Wir gehen etwa zehn Minuten lang in die Diskothek, dann stecken alle die Köpfe zusammen und streiten, wohin wir als nächstes wollen, schließlich fahren wir ans andere Ende von Italien, und es dauert drei oder vier Stunden, bis wir zurück sind. Sie fahren alle so schnell, und die Straßen sind kurvenreich. Ich würde mich übergeben, wenn ich etwas essen würde.«
»Und mögen die anderen das Herumfahren? Das müssen sie ja wohl, nehme ich an.«
»O ja, sie finden es wunderbar. Mir wird nur eben schlecht.«
»Und warum fährst du dann mit?«
»Weil ich jung bin und zum Dorf gehören möchte, außerdem schlafe ich fast die ganze Zeit und wache erst am Meer oder mitten in Florenz auf. Das gefällt mir.«
Allie hatte sehr oft bei Imolo zu Abend gegessen. Er kannte dessen Ehefrau Maria gut und spielte mit den beiden Kindern briscola. Auch die Beauties waren mit Imolos Haus vertraut, obwohl sie seine Cantina und deren Inhalt offenbar besser kannten als das Erdgeschoß. Aber es war ein großer Tag für Robbie und mich, als Imolo uns alle offiziell zum Mittagessen einlud. Es war unsere erste Einführung in die Welt von San Orsola über die Grenzen unseres Weilers, die Bars und Läden hinaus. Imolos Haus stand etwas außerhalb des Ortes, am Rand eines anderen Weilers inmitten von Felsen und Sonnenröschen.
Maria d'Imolo (wie wir sie nannten, um sie von all den anderen Marias zu unterscheiden) war mollig, blond und so bemüht, gefällig zu sein, daß ihre Worte atemlos herauspurzelten. Sie sah viel jünger aus als Imolo, mit dem sie offenbar eine enge Freundschaft verband, auch wenn die beiden sich ständig neckten. Marias Schultern waren eigenartig schief, sie trippelte wie eine aufgescheuchte Glucke in der Küche umher und tischte uns kein Mittagessen auf, sondern veranstaltete ein Bankett. Erst gab es crostini , kleine Scheiben gerösteten Brots mit pikantem Aufstrich, danach Marias selbstgemachte tagliatelle , hergestellt mit der Hilfe ihrer Tochter,
die so alt war wie das Kind Iseult. Der dritte Gang war am Spieß gebratenes Huhn, es folgten Kaninchen und schließlich gebratene Taube. Als Dessert gab es üppigen, süßen mascarpone mit Kaffee und Marsala, zum Schluß Birnen mit Pecorino.
Imolo hatte an jedem Gang etwas auszusetzen, die Birnen und den Käse ausgenommen, die er geradezu lyrisch pries.
»Eh, sì «, wies Maria ihn zurecht. »Die Birnen sind nur wunderbar, weil sie aus deinem Garten kommen.« Dann wandte sie sich zu mir und vertraute mir an, daß Imolo bei Tisch niemals zufrieden sei.
»Wenn man ihn hört, kann er alles besser kochen, aber das Problem ist, daß er nie kocht, er beschwert sich nur.«
Imolo grinste, ohne jede Reue. »Eh, la Maria ist heute zart besaitet, ihr fehlt Beautiful. «
Später fand ich heraus, daß Beautiful eine Fernsehserie mit vielen hundert Folgen war, nach der das halbe Dorf süchtig war. Sie tratschten über die Personen, als seien sie Orsolani, und einige Frauen führten hitzige Debatten über deren unsäglich verwickeltes Leben.
Der Kaffee wurde in bayrischen Tassen mit Blattgoldverzierung serviert, die Maria feierlich aus einer Glasvitrine im unbenutzten Eßzimmer holte, danach machte Imolo mit uns die Große Rundreise durch seine Cantina. Sein Weinkeller war angelegt, um der Doppelbedrohung durch Inflation und Naturkatastrophen zu trotzen. Imolo und Maria benutzten vier Räume als Vorratskammern und hatten ein Treibhaus, Zitronenraum genannt, das im Winter von einem einzigen Zitronenbaum fast ganz ausgefüllt wurde. Der Baum gehörte zu den sieben Wundern dieses Landstrichs. Das Klima in San Orsola ist zu kalt, als daß Orangen und Zitronen wie an der
italienischen Riviera und weiter im Süden im Freien wachsen könnten. Daher werden Zitronenbäume in Terrakotta-Töpfe gepflanzt und im Winter in Schutzhaft genommen.
In einer eleganten Florentiner Villa ist eine limonaia meist ein ebenso eleganter Wintergarten, hier ist ein Zitronenraum in aller Regel ein dunkler Raum mit einer breiten Türöffnung, um die gewaltigen Töpfe hindurchzubekommen. Er ist oft fensterlos, wie bei Imolo. Die Töpfe sind verschieden groß, häufig aber so riesig, daß man vier Männer brauchte, um sie zu bewegen, daher stehen die Pflanzen auf einem Brett mit Rollen. Imolos Topf war ein alter eiserner Zementmischer, und aus diesem Grund, sagte er, gedeihe sein Zitronenbaum besser als andere: er trinke das Eisen. Als er mit uns hinunterging, um uns den Baum zu
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