Ein Haus in Italien
zeigen, stand er in voller Blüte. Imolo schien sich darüber zu freuen wie ein stolzer Vater. Sein sonst recht ernstes Gesicht strahlte, als er einen Zweig der stark duftenden Blüten für das Kind Iseult und dann einen für mich abbrach. Ich fürchtete, er könne darum weniger Früchte tragen.
»Eh, no , eh«, beruhigte er uns glücklich. »Nichts kann meinen Zitronenbaum kaputtmachen, er trägt fast hundert Zitronen. Stell dir das vor. Hundert Zitronen.« Er dachte ein bißchen nach, dann sagte er, »Du solltest auch einen Zitronenbaum haben, Lisa.« Dann dachte er noch ein bißchen nach. »Aber er wäre nicht wie meiner. Was verstehst du von Zitronenbäumen?«
Wir standen noch vor seinem Haus, als er mich recht ausführlich und unwirsch über Wohl und Wehe des Zitrusfruchtanbaus zurechtwies. Als wir wieder im Haus waren, veränderte sich sein Benehmen und wurde zu einem Inbegriff von Feingefühl und Freundlichkeit. Trotz seines berüchtigten Jo
delns, das von einem Tal zum anderen zu hören war, hatte Imolo eine tiefe und ruhige Stimme, sobald er sich auf ein Gespräch unter vier Augen einließ. In seinen Augen lagen eine endlose Traurigkeit und Tiefe, und seine Nase war viele Male gebrochen. Sie war nicht geschwollen oder vernarbt, sie sah nur aus, als habe sie sich gegen die Anstrengung entschieden, weiterhin aus dem Gesicht herauszuragen, um zukünftige Dresche zu mindern. Statt dessen knickte sie im Sattel nach unten. Die Wirkung war nicht unattraktiv; es sah aus wie die übertriebene Variante einer römischen Statue.
Imolo und Maria sprachen so liebevoll von Allie, daß ich den Eindruck bekam, sie wollten mich dazu bewegen, ihn zur Adoption freizugeben. Allie selbst war derartiges Lob von ihnen offenbar gewöhnt – er war bei ihnen, mit ihren Kindern und deren Sachen wie zu Hause. Mit ihrem Sohn tauschte er kryptische Mitteilungen im örtlichen Dialekt aus, wofür er weiteres Lob einstrich. In unserem Weiler lebten keine weiteren Kinder, alle anderen waren im Dorf unten. Allie war es zwar gelungen, bei Erwachsenen seine Schüchternheit abzulegen, indem er bei Imolos Kumpeln die Runde machte und mit den Dorfältesten zahllose Kartenspiele absolvierte, aber es fiel ihm immer noch schwer, sich unter Gleichaltrige zu mischen. Im September würde er mit ihnen zur Schule gehen, und er hatte beschlossen, mit Freundschaften zu Jungen in seinem eigenen Alter bis dahin zu warten. Er vermißte immer noch seinen besten Freund in Venedig, einen Jungen namens Gabriele del Corso, an den er Postkarten kritzelte, die er nie abschickte.
Imolo wollte nichts davon hören, daß sich sein geliebter Allie wie die übrige Familie mit vollem Magen in den Zweisitzer klemmte, und bestand darauf, ihn nach dem Mittagessen
nach Hause zu fahren. Also machten Allie, ich und Imolo uns in Imolos bestem Auto auf den Weg, den Werktags-Fiat 500 ließen wir am Wegrand halb unter Brombeerhecken versteckt stehen. Auf dem kurzen Rückweg lag Imolo mir wegen des betrüblichen Zustandes meines Gemüsegartens in den Ohren. Die Vernachlässigung des orto ist ein nahezu ebenso schweres Vergehen wie die Vernachlässigung der eigenen Kinder.
Als wir die Villa kauften, hatte eine Dame mich gebeten, noch ein Jahr lang ein kleines Stück Land hinter dem Haus behalten zu dürfen. Sie sagte, es habe seit Jahren ihr gehört. Wir stimmten gern zu, wie wir in der Hoffnung, uns bei unseren Nachbarn beliebt zu machen, später noch vielem zustimmen würden. Fast das ganze erste Jahr waren wir entweder in Venedig oder im Ausland, so daß sich unsere Interessen im Grunde erst seit unserer Ankunft im April ins Gehege kamen. Die fragliche Dame kletterte still über ihren Zaun aus Sprungfedern, alten Toren und Zinkblech, um ein winziges Knoblauchbeet zu bestellen. Sie hatte uns angeboten, so viel zu nehmen, wie wir wollten, aber ich hatte es nie gewagt, ihre Großzügigkeit auf die Probe zu stellen. Aus Verlegenheit wagte sie offenbar nicht, das umzäunte Stückchen Land richtig zu nutzen, und als sie es Ende Mai offiziell zurückgab, war es für uns zu spät, noch etwas zu pflanzen, und sie hatte weder Sommergemüse noch Salat. Nur die Winden gediehen, deren Samen ich in einem Haushaltswarengeschäft in Schottland gekauft und heimlich gesät hatte. Auf der Samentüte stand, sie liebten Ödland. Die beiden überlebenden Pflanzen putzten mein Ödland jedenfalls sofort ganz ungemein, sie kämpften sich durch Unmengen von Labkraut und blühten auf dem abgestorbenen
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