Ein Haus in Italien
offener Anstalt war.«
Das Kind im Sportwagen rührte sich und verlangte in tadellosem Italienisch einen Schnuller und eine Flasche. Beides wurde umgehend aus einer Plastiktasche am Griff des Sportwagens hervorgeholt. Das Kind rückte sich in dem beengten Sitz zurecht und schlief wieder ein.
»Die Eugubini sagen ›Laufe dreimal um den Brunnen‹ – den Brunnen unter dem Palazzo Ducale, wissen Sie – dreimal, dann sind Sie einer von ihnen: total plemplem.«
Eine Stunde später waren wir dort, in Gubbio, und kamen durch die Porta degli Ortacci zu der steilen Straße, die zwischen den hellgrauen Steinen der Häuser hindurch zu den poliert grauen Steinen der mittelalterlichen palazzi hinaufsteigt. Die vielen Geschäfte schienen entweder Antiquitäten oder Majolika aus der Gegend zu verkaufen oder aber Antiquitäten und Majolika. Es gab ein Überangebot an Krügen und Kannen, das in mir auf eine willige Käuferin traf, ich erstand für die Küche ein Apothekergefäß in Braun und Blau und einen Krug für Blumen.
Gubbio verzauberte mich, es raubte mir den Verstand, betäubte mich mit seiner Schönheit. Stundenlang, bis es dunkel wurde, schlenderte ich durch das Labyrinth der gepflasterten Gassen, verweilte auf verschiedenen Ebenen, ging Hunderte von breiten und engen Stufen hinauf und hinunter: lauter Verbindungen zwischen den Parallelstraßen, die den steilen Berg von Gubbio umlaufen. Ich war wie trunken von dem Reichtum an Sehenswürdigkeiten und Bildern, Kirchen und Fresken, von den unglaublichen, atemberaubenden Ausblicken auf die Dächer der gedrängten Stadt und über sie hinweg auf die Ebenen zu ihren Füßen und die Berge dahinter. Ich war von der Stadt zu erregt, um den außergewöhnlichen Palazzo dei Consoli richtig zu würdigen, der majestätisch über allem thronte. Ich lehnte mich an den kalten Stein der Balustrade zwischen der Piazza della Signoria und dem Blick hinunter und ertappte mich dabei, wie ich mir das Pflaster des großen Platzes einprägte, der ihm fischgrätgepflastert zu Füßen lag und ihm seine Reverenz erwies.
Noch bevor ich in einem der riesigen grauen palazzi , der Kathedrale oder einer der Kirchen gewesen war, noch bevor ich die Werke von Sinibaldo, Palmerucci oder Nelli gesehen
hatte, war ich wieder verliebt. Es war Gubbio als Ganzes, nicht so sehr ein bestimmtes Gebäude, Gemälde oder Panorama, was mich ergriff. Ich verfiel dem Ort, dem durchgängigen Gefühl von Geschichte und einer eigenartigen, nicht faßbaren Verschlossenheit. Geschäfte, Bars und Restaurants waren offen, die Menschen nicht. Es war, als teilten sie ein Geheimnis, das zu bedeutend war, um es zu erzählen, und zu zeitraubend, als daß sie sich mit Besuchern abgeben könnten.
Zwischen den Augenblicken eugubinischer Tagträume sah ich Allie und Iseult die grauen Stufen auf und ab laufen, in Gassen verschwinden und wieder herauskommen und in Bars, wo sie Coca-Cola und Eis am Stiel tankten. Die anderen hatten sich getrennt und suchten eigene Wege durch dieses Labyrinth aus Palästen und vergangener Macht. Ich hatte beschlossen, nach Gubbio zurückzukommen, viele Male, um die Einzelheiten zu erfassen. Nun fühlte ich mich berauscht, einfach nur da zu sein, während die Dämmerung durch die Öffnungen im Stein fiel. Als ich mich an die Balustrade über dem steilen Abhang lehnte, erfuhr ich (dank meiner schlechten Angewohnheit, anderer Leute Gespräche zu belauschen), daß Gubbio, nach Angaben unserer Lokalzeitung Cronaca Umbra , die höchste Selbstmordrate Italiens habe. Von zwei amerikanischen Touristen hörte ich, daß in unmittelbarer Nähe des heutigen Gubbio ein prähistorischer Meteorit eingeschlagen sei und daß es eine Theorie gäbe, wonach der abgesonderte Staub für das Aussterben der Dinosaurier verantwortlich sei. Von einer Gruppe Pfadfinder erfuhr ich, daß sich Gubbio alljährlich mit einer Festbeleuchtung in den größten Weihnachtsbaum der Welt verwandelt. Und vom Kind Iseult erfuhr ich, daß drei der fünf caffès , die sie mit ihrem Bruder
besucht hatte, Touristennepps waren, aber bevor sie mir sagen konnte, welche, war sie schon wieder fort.
Es war spät, als wir an diesem Abend Assisi erreichten, an sich zu spät, um für uns alle Hotelzimmer zu finden. Aber wir hatten Glück. Die Nacht wurde von Glocken zerteilt. Daran waren wir aus Venedig gewöhnt, und es störte unseren Schlaf nicht. Wir frühstückten auf einer Terrasse mit Blick auf eine rosa und beige Straße, in dieser Stadt des
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