Ein Haus zum Traumen
Anderthalb Jahre, bevor sie starb, dachte Cilla.
Liebesbriefe. Versteckt, mit einem Bändchen umwickelt, es konnte gar nichts anderes sein. Das Geheimnis einer Frau, die im Rampenlicht gestanden hatte. Sicher hatte sie sie hier versteckt, bevor sie, wie Gatsby, auf tragische Weise jung ums Leben kam.
Du siehst das viel zu romantisch, dachte Cilla. Es könnten ja auch Briefe von einer alten Freundin oder einer entfernten Verwandten sein.
Aber sie wusste, dass das nicht stimmte. Sie legte sie ins Buch zurück und ging damit nach unten.
Zuerst einmal duschte sie, weil sie den Schatz, den sie entdeckt hatte, mit sauberen Händen anfassen wollte.
Geduscht, in Flanellhose und Sweatshirt, die Haare zurückgebunden, schenkte sie sich ein Glas von Fords Wein ein. Sie stand in dem harten, kalten Neonlicht – Mann, das musste dringend weg –, trank einen Schluck Wein und betrachtete das Buch.
Die Briefe gehörten jetzt ihr, da hatte Cilla keine Bedenken. Oh, ihre Mutter wäre damit nicht einverstanden – sie würde laut protestieren. Sie würde um den Verlust weinen und sich auf ihr Recht auf alles, was Janet gehört hatte, berufen. Und dann würde sie sie verkaufen, sie zur Auktion freigeben, wie sie es mit so vielen Besitztümern von Janet im Laufe der Jahre gemacht hatte.
Für die Nachwelt, würde Dilly behaupten. Für das Publikum, das sie vergötterte. Aber das war alles nur dummes Geschwätz, dachte Cilla. Es ging ums Geld und um den Abglanz des Ruhms, den Artikel in People mit Fotos von Dilly, wie sie den Stapel Briefe in der Hand hielt, mit Tränen in den Augen.
Und das Schlimme war, sie glaubte ihren eigenen Erfindungen, dachte Cilla. Das war eines von Dillys größten Talenten, ebenso wie die Tränen, die sie auf Befehl abrufen konnte.
Was sollte sie mit den Briefen machen? Sollte sie sie wieder verstecken, an den Absender zurückschicken? Sie wie eine Schallplatte rahmen und ins Wohnzimmer hängen?
»Zuerst muss ich sie mal lesen.«
Cilla stieß die Luft aus, stellte ihr Weinglas ab und zog sich einen Stuhl an die Küchentheke. Vorsichtig knotete sie das verblichene Band auf und zog den ersten Brief aus dem Umschlag. Das Papier knisterte, als sie es auffaltete. Eine dunkle, klare Schrift füllte zwei Seiten.
Mein Liebling,
mein Herz schlägt schneller, seit ich weiß, dass ich dich so nennen darf. Mein Liebling. Was habe ich getan, um so ein kostbares Geschenk zu bekommen? Jede Nacht träume ich von dir, vom Klang deiner Stimme, vom Duft deiner Haut, dem Geschmack deines Mundes. Ich zittere innerlich, wenn ich daran denke, wie wir uns geliebt haben.
Und jeden Morgen beim Aufwachen fürchte ich, es wäre alles nur ein Traum gewesen. Habe ich mir eingebildet, dass wir in jener kalten, klaren Nacht am Feuer gesessen und geredet haben wie niemals zuvor?
Aber als ich wusste, was ich für dich empfand, konnten wir keine Freunde mehr sein. Wie konnte eine solche Frau jemanden wie mich wollen? Und ist es tatsächlich passiert? Kamst du in meine Arme? Suchten deine Lippen meine? Gaben wir dem Wahnsinn nach, während das Feuer brannte und die Musik spielte? War das der Traum, mein Liebling? Wenn das so war, möchte ich für immer in meinen Träumen leben.
Mein Körper sehnt sich schmerzlich nach deinem, seit wir so weit voneinander entfernt sind. Ich möchte deine Stimme hören, aber nicht im Radio oder vom Tonband. Ich möchte dein Gesicht sehen, aber nicht nur auf Fotos oder auf der Leinwand. Du bist es, die ich will, die schöne, leidenschaftliche, echte Frau, die ich in jener Nacht und den Nächten, die wir uns danach gestohlen haben, in den Armen gehalten habe.
Komm bald zu mir, mein Liebling. Komm zurück zu mir und zu unserer geheimen Welt, in der nur du und ich leben.
Ich sende dir all meine Liebe, all meine Sehnsucht in diesem neuen Jahr.
Jetzt und für immer gehöre ich nur dir.
Hier?, fragte sich Cilla und faltete den Brief sorgfältig wieder zusammen. War es hier in diesem Haus, vor dem Kamin gewesen? Hatte Janet in den letzten achtzehn Monaten ihres Lebens Liebe und Glück in diesem Haus gefunden? Oder war es nur eine weitere Affäre, eine ihrer zahlreichen kurzen Begegnungen gewesen?
Cilla zählte die Briefumschläge und stellte fest, dass sie alle auf die gleiche Weise und in der gleichen Schrift adressiert waren. Nur die Poststempel waren unterschiedlich. Zweiundvierzig Briefe, dachte sie, und der letzte kam nur zehn Tage, bevor sich Janet hier in diesem Haus das Leben genommen
Weitere Kostenlose Bücher