Ein Held unserer Zeit
Ferne.
"Du träumst, Junge," sprach sie. "Ich sehe nichts."
Ich bemühte mich ebenfalls in der Ferne etwas wie einen Kahn zu entdecken; aber es gelang mir nicht. So vergingen zehn Minuten; da zeigte sich zwischen dem Wellenberge ein schwarzer Punkt: Bald vergrößerte er sich, bald wurde er kleiner. Nach und nach unterschied ich eine Barke, die bald oben auf den Wellenkämmen schwebte, bald neben ihnen hinschoß und sich rasch dem Ufer näherte. Es mußte ein verwegener Schiffer sein, der in einer solchen Nacht seinen Kahn über einen Meeresarm von zwanzig Werst Breite zu führen wagte, und ein wichtiger Grund mußte es sein, der ihn einer solchen Gefahr trotzen ließ.
Mit diesem Gedanken beschäftigt, folgte ich mit unwillkürlichem Herzklopfen den Bewegungen des armen Kahns. Er tauchte bald wie eine Ente unter, bald erhob er sich plötzlich wieder durch einen geschickten Ruderschlag und wiegte sich auf den schäumenden Wellen über dem Abgrunde. Da auf einmal schien es mir, als würde er gegen das Ufer geschleudert und drohe in tausend Stücke zertrümmert zu werden, – aber die Barke machte sehr geschickt eine Seitenwendung und schlüpfte sicher und wohlbehalten in eine kleine Bucht.
Es stieg ein Mann von mittlerer Größe aus, der nach Art der Tataren eine Lammfellmütze trug. Er winkte mit der Hand – und alle drei begannen irgend einen Gegenstand aus dem Kahn zu ziehen. Der Gegenstand war so schwer, daß ich jetzt noch nicht begreife, wie die Barke ihn hatte tragen können. Jeder von ihnen nahm einen Theil der Ladung auf seine Schulter, sie entfernten sich am Ufer entlang und waren bald meinen Blicken entschwunden.
Mir blieb weiter nichts übrig, als in meine Hütte zurückzukehren; aber ich gestehe, alle diese seltsamen Dinge hatten mich so aufgeregt, daß ich mit großer Ungeduld den Morgen erwartete.
Mein Kosak war ganz erstaunt, als er mich beim Erwachen vollständig angekleidet fand. Allein ich erzählte ihm nichts von meinem nächtlichen Spaziergange. Nachdem ich eine Zeit lang durch das Fenster den blauen, hin und wieder mit leichten Wolken bedeckten Himmel und das ferne Gestade der Krim betrachtet, das sich am Horizont wie ein violettes Band hinzieht und mit einem Felsen endet, auf dessen Spitze sich der Leuchtthurm erhebt, begab ich mich nach dem Fort Fanagori, um mich bei dem Commandanten zu erkundigen, wann ich nach Gelendschik abfahren könnte.
Ader leider vermochte mir der Commandant nichts Bestimmtes zu sagen. Die Schiffe, welche in dem Hafen lagen, waren sämmtlich entweder Wacht- oder Kauffahrteischiffe, die man noch nicht einmal zu laden begonnen.
"Vielleicht," setzte der Commandant hinzu, "kommt in drei oder vier Tagen ein Postschiff, und dann werden wir sehen."
Unmuthig, schlecht gelaunt kehrte ich in mein Quartier zurück. Auf der Schwelle trat mir mit ganz erschrecktem Gesicht mein Kosak entgegen.
"Eine böse Geschichte!" sagte er zu mir.
"Ja wol, Freund!" erwiderte ich. "Weiß Gott, wann wir von hier fortkommen!"
Diese Worte schienen seine Unruhe noch zu vermehren. Er näherte sich mir und flüsterte mir ins Ohr:
"Es ist hier nicht sauber! Ich traf hier heut Morgen einen Corporal vom schwarzen Meer, mit dem ich bekannt bin, – wir standen voriges Jahr bei demselben Regiment." Als ich ihm sagte, wo wir in Quartier lägen, da sprach er zu mir:
"Da, Freundchen, ist es nicht sauber, – gefährliche Leute! ... Und in der That, was ist das für eine Geschichte mit diesem Blinden! ... Ueberall geht er allein hin: nach dem Markt, zu dem Bäcker, nach dem Brunnen ... Es scheint, hier ist man an so etwas gewöhnt."
"Und hat sich wenigstens die Wirthin gezeigt?"
"Ja, heut Morgen, als Sie ausgegangen waren, kam eine Alte mit ihrer Tochter."
"Was für eine Tochter? Sie hat keine Tochter."
"Dann weiß ich nicht, wer sie ist, wenn sie nicht ihre Tochter ist; aber da sitzt die Alte jetzt in ihrer Hütte."
Ich trat ein. In dem Ofen brannte ein tüchtiges Feuer und auf demselben ward ein Mahl bereitet, das für arme Leute nichts zu wünschen übrig ließ.
Auf alle meine Fragen antwortete die Alte, sie höre nichts, sie sei taub. Was sollte ich mit ihr anfangen? Ich wandte mich an den blinden Knaben, der vor dem Ofen saß und Zweige ins Feuer warf.
"Und du, blindes Teufelchen" sagte ich zu ihm, indem ich ihn am Ohr faßte, "sag' mal, wo bist du denn heut' Nacht mit dem Bündel unter dem Arm
Weitere Kostenlose Bücher