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Ein Held unserer Zeit

Ein Held unserer Zeit

Titel: Ein Held unserer Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Lermontow
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herumgestrichen? ... Sprich!"
     
    Da begann der Kleine plötzlich zu weinen und zu seufzen und antwortete schluchzend:
     
    "Wo ich heut' Nacht hingewesen? ... Nirgends bin ich hingewesen ... Mit einem Bündel? ... mit was für einem Bündel?"
     
    Diesmal hatte die Alte sehr gut gehört, und sie begann zu murmeln:
     
    "Was fällt Ihnen denn ein! Und sich da noch an einem unglücklichen armen Kinde vergreifen! Was wollen Sie von ihm? Was hat er Ihnen denn gethan?"
     
    Diese Komödie langweilte mich, und ich ging wieder hinaus, fest entschlossen, den Schlüssel zu diesem Räthsel zu finden.
     
    Ich wickelte mich in meine Burka und setzte mich vor der Thür auf einen Stein und ließ meine Blicke in die Ferne schweifen. Vor mir dehnte sich das Meer aus, das von dem nächtlichen Sturm noch in Aufregung war. Das eintönige Gemurmel der Wellen glich dem Gesumme einer entschlummernden Stadt; es rief alte Erinnerungen in mir wach und versetzte mich in Gedanken nach dem Norden in unsere kalte Hauptstadt. Ich überließ mich meinen Gedanken und versank in Träumerei ...
     
    Etwa eine Stunde war so verstrichen; vielleicht auch mehr ... Plötzlich tönt etwas wie Gesang an mein Ohr. Ja, es war Gesang, – und eine so frische weibliche Stimme ... Aber von woher kam sie? ... Ich höre aufmerksam zu. Die Melodie ist ganz rein; bald langsam und traurig, bald rasch und lebhaft. Ich blicke mich um – ringsumher kein Mensch! Ich lausche von neuem – es ist, als kämen die Töne vom Himmel herab. Ich richte die Augen empor – und da sehe ich auf dem Dach der Hütte ein Mädchen in einem gestreiften Kleide mit tief herabfallendem Haar – eine wahre Russalka.
     
    Die eine Hand hatte sie über die Augen gelegt, um sie vor den hellen Sonnenstrahlen zu schützen. Unverwandt schaute sie in die Ferne, bald mit sich selbst redend und vor sich hinlächelnd, bald ihren Gesang fortsetzend.
     
    Ihr Lied ist mir treu im Gedächtnis geblieben:
     
     
     Schnell flieget das Schifflein
     
     Wie Jägers Speer
     
     Hin über das freie,
     
     Das grünliche Meer.
     
     
     Kein prunkender Name
     
     Verzieret den Bug,
     
     Doch kennen es Alle
     
     Am sicheren Flug.
     
     
     Sie kennen es Alle,
     
     Doch keiner wie ich,
     
     Und naht es dem Strande,
     
     So findet es mich.
     
     
     Und stößt es vom Ufer,
     
     So weilet mein Fuß
     
     Am Felsengestade, –
     
     Es folgt ihm mein Gruß.
     
     
     Wenn stürmisch brandet
     
     Die wogende See,
     
     Dann fliehn die Fregatten
     
     Zur Meereshöh';
     
     
     Dann fleh' ich zum Meere:
     
     Verschone sein Schiff,
     
     O trage es glücklich
     
     Um's fährliche Riff!
     
     
     Verschlinge die Waaren,
     
     Die reichlich es führt, –
     
     Nur schone des Fährmanns,
     
     Der kühn es regiert.
     
     
    Es wollte mir scheinen, als ob ich diese selbe Stimme in der vorhergehenden Nacht schon gehört hätte. Diesem Gedanken hing ich einen Augenblick nach und blickte dann wieder zu dem Dache hinauf. Das Mädchen war verschwunden. Plötzlich eilte sie, irgend eine andere Weise summend, an mir vorbei und huschte, mit den Fingern schnalzend, hinein zu der Alten. Und da begann zwischen ihnen ein Disput. Die Alte wurde böse; das Mädchen lachte hell auf. Da sehe ich meine Undine plötzlich wieder davonhüpfen. Als sie meiner ansichtig wird, bleibt sie stehen und blickt mir fest in die Augen, als sei sie über meine Anwesenheit erstaunt. Darauf wendet sie sich gleichgiltig ab und geht langsamen Schrittes auf das Ufer zu.
     
    Aber damit war es noch nicht zu Ende. Während des ganzen übrigen Tages drehte sie sich um mein Quartier herum, in einem fort singend und hüpfend. Seltsames Wesen! Ihre Gesichtszüge zeigten durchaus keine Spur einer Geistesstörung. Im Gegentheil, sie richtete mit solcher Keckheit ihre durchdringenden Augen auf mich! ... und diese Augen schienen eine magnetische Kraft auf mich auszuüben und beständig irgend eine Frage zu erwarten. Aber sobald ich ein Gespräch anknüpfen wollte, entfloh sie mit einem boshaften Lächeln.
     
    Ein solches Mädchen hatte ich wirklich noch nie gesehen. Man konnte sie durchaus nicht schön nennen; aber auch im Punkte der Schönheit habe ich meine eigenen Ansichten. Es war viel Rasse an ihr ... und bei den Frauen wie bei den Pferden ist die Rasse etwas sehr Wichtiges; übrigens verdanken wir diese Entdeckung der jungen französischen Poetenschule. Man erkennt sie – das heißt die Rasse, nicht die junge

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