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Ein Held unserer Zeit

Ein Held unserer Zeit

Titel: Ein Held unserer Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Lermontow
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französische Poetenschule – vorzugsweise am Schritt, an der Form der Hände und Füße; auch die Nase spielt hier eine sehr wichtige Rolle. Regelmäßige Nasen sind in Rußland weit seltener als kleine Füße.
     
    Meine Sängerin schien kaum achtzehn Jahre zu zählen. Eine außerordentliche Schmiegsamkeit des Körpers, ihre ungewöhnlichen, nur ihr eigenthümlichen Kopfbewegungen, ihr langes blondes Haar, das wie eine goldschimmernde Flut auf den Hals und die leichtgebräunten Schultern herabfloß, und vor allem ihre regelmäßige Nase – das Alles hatte für mich etwas Bezauberndes.
     
    Mochte ich auch in ihrem Seitenblick etwas Wildes und Verdächtiges lesen, mochte in ihrem Lächeln auch etwas Gezwungenes liegen – das Vorurtheil trug den Sieg davon: die schönen Linien ihrer Nase brachten meinen Verstand zum Schweigen; und ich bildete mir ein, Goethe's Mignon, dieser wunderlichen Schöpfung der deutschen Phantasie begegnet zu sein. Und in der That, diese beiden Wesen hatten viel Gemeinsames: Derselbe rasche Uebergang von der größten Aufregung zur vollkommensten Ruhe und Unbeweglichkeit; dieselben räthselhaften Reden, dieselben seltsamen Lieder ... Als ich gegen Abend meine Undine an der Thür zum Stehen brachte, hatte ich folgendes Gespräch mit ihr:
     
    "Sage mir, mein schönes Kind," sagte ich, "was machtest du heut' auf dem Dach?"
     
    "Ich wollte sehen, woher der Wind wehte!"
     
    "Warum denn?"
     
    "Woher der Wind weht, daher kommt das Glück."
     
    "Und wolltest du mit deinem Singen das Glück herbeirufen?"
     
    "Wo man singt, da ist man glücklich."
     
    "Aber wenn dein Gesang das Unglück herbeiriefe?"
     
    "Was läge daran? Geht's nicht gut, so geht es schlimm, und vom Schlimmen zum Guten ist's wieder nur ein kurzer Weg."
     
    "Wer hat dich deine Lieder gelehrt?"
     
    "Niemand. Ich denke nach – und singe; wer mich verstehen soll, wird mich schon hören, und wer mich nicht hören soll, wird mich auch nicht begreifen."
     
    "Wie heißt du, meine schöne Sängerin?"
     
    "Wer mich getauft hat, weiß es schon."
     
    "Und wer hat dich getauft?"
     
    "Das weiß ich nicht."
     
    "Aha, du spielst die Geheimnißvolle! Aber ich weiß doch schon etwas von dir."
     
    Nicht die geringste Bewegung ihres Gesichts, nicht das leiseste Zucken ihrer Lippen, – als ob von ihr gar nicht die Rede wäre.
     
    "Ich weiß, daß du heut' Nacht am Ufer des Meeres gewesen bist."
     
    Und nun erzählte ich ihr ausführlich Alles, was ich gesehen; ich hoffte sie damit zu verwirren – weit gefehlt; sie begann aus voller Kehle zu lachen.
     
    "Da haben Sie etwas sehr Wichtiges gesehen und wissen doch sehr wenig; aber was Sie wissen, das halten Sie nur ja hübsch hinter Schloß und Riegel."
     
    "Aber wenn ich es," fuhr ich mit sehr ernster, fast strenger Miene fort, "wenn ich es etwa dem Commandanten anzeigte?"
     
    Da begann sie zu hüpfen und zu singen und verschwand wie ein aufgescheuchtes Vögelchen.
     
    Mit diesen letzteren Worten hatte ich eine Unvorsichtigkeit begangen. Damals ahnte ich noch nicht ihre Tragweite; aber später hatte ich gute Gründe, sie zu bereuen.
     
    Sobald es dunkel zu werden begann, befahl ich meinem Kosaken, den Thee zu bereiten, steckte ein Licht an, setzte mich an den Tisch und rauchte meine Reisepfeife. Schon war ich bei meiner zweiten Tasse Thee, als plötzlich die Thür knarrt, – das leichte Rauschen eines Kleides und das Geräusch von Schritten dringt an mein Ohr; ich stehe rasch auf und wende mich um – sie ist es, meine Undine!
     
    Langsam und ohne ein Wort zu sagen, setzte sie sich vor mich. Sie richtete ihre Augen auf mich, und der Blick derselben schien mir, ich weiß nicht warum, wunderbar zärtlich. Er erinnerte mich an andere Blicke, welche früher eine so mächtige Gewalt über mich gehabt hatten. Sie schien eine Frage zu erwarten; aber ich schwieg: eine unerklärliche Erregtheit hatte mir die Zunge gelähmt. Ihr Antlitz war blaß und deutete auf eine große innere Unruhe hin, ihre Hand irrte ziellos über den Tisch, und ich bemerkte, daß sie leicht zitterte; ihre Brust hob sich bald heftig, bald schien sie den Athem zurückzuhalten.
     
    Diese Komödie begann mich zu ärgern, und ich war im Begriff, das Schweigen in der prosaischsten Weise von der Welt zu brechen, das heißt ihr eine Tasse Thee anzubieten, – als sie plötzlich aufsprang, ihre Arme um meinen Hals schlang und einen feurigen Kuß auf meine Lippen drückte. Vor meinen Augen wurde es dunkel, der Kopf

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