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Ein Held unserer Zeit

Ein Held unserer Zeit

Titel: Ein Held unserer Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Lermontow
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schwindelte mir, mit der ganzen Kraft jugendlicher Leidenschaft preßte ich sie in meine Arme; aber wie eine Schlange schlüpfte sie mir unter den Händen weg und raunte mir ins Ohr:
     
    "Heut' Nacht, wenn Alles schläft, komm' ans Ufer."
     
    Und schnell wie ein Pfeil war sie aus dem Zimmer verschwunden – auf ihrer Flucht Theemaschine und Licht zu Boden schleudernd.
     
    "Ist das ein Teufelsmädel!" rief mein Kosak, der sich auf dem Stroh ausgestreckt, und, um sich zu erwärmen, auf den Rest des Thees gerechnet hatte.
     
    Dieser Ausruf brachte mich ein wenig wieder zur Besinnung ...
     
    Zwei Stunden später, als draußen Alles ruhig war, weckte ich meinen Kosaken. "Wenn du einen Schuß hörst," sagte ich zu ihm, "so eile rasch ans Ufer."
     
    Er rieb sich die Augen und antwortete mechanisch:
     
    "Zu Befehl, Herr Lieutenant."
     
    Ich steckte meine Pistole in den Gürtel und ging hinaus.
     
    Sie erwartete mich am Rande der Böschung. Ihre Kleidung war mehr als leicht, ein kleines Tuch war wie eine Schärpe um ihre schlanke Taille gebunden.
     
    "Folgen Sie mir!" sagte sie und ergriff meine Hand.
     
    Wir begannen an der Böschung herabzusteigen. Ich begreife nicht, wie es kam, daß ich mir nicht den Hals brach. Am Fuße des Abhanges angekommen, wandten wir uns nach rechts und folgten demselben Pfade, auf welchem ich am vorhergehenden Abend dem Blinden nachgegangen war.
     
    Der Mond war noch nicht aufgegangen, und nur zwei kleine Sterne schimmerten gleich schützenden Leuchtthürmen an dem dunkelblauen Himmelsgewölbe. Schwere Wogen folgten einander in regelmäßigen Zwischenräumen und vermochten kaum einen einsamen am Ufer befestigten Kahn zu erheben.
     
    "Steigen wir in diesen Kahn," sprach meine Begleiterin.
     
    Ich zauderte; denn offen gestanden, finde ich an sentimentalen Wasserfahrten wenig Geschmack. Aber es war bereits zu spät, noch umzukehren.
     
    Sie sprang in den Kahn, ich folgte ihr, und ehe ich Zeit gehabt, über die Sache weiter nachzudenken, bemerkte ich, daß wir schon auf dem Wasser schwammen.
     
    "Was bedeutet das?" sagte ich zornig.
     
    "Das bedeutet," antwortete sie, indem sie mich auf einer Bank Platz nehmen ließ und meine Taille mit ihren Armen umschlang, "das bedeutet, daß ich dich liebe ..."
     
    Und ihre brennende Wange preßt sich an die meine, und ich fühle auf meinem Gesicht ihren heißen Athem. Plötzlich fällt etwas geräuschvoll ins Wasser – ich greife nach dem Gürtel – die Pistole ist fort ... Da stieg ein schrecklicher Verdacht in meinem Geiste auf, alles Blut stieg mir nach dem Kopfe! Ich blicke mich um – wir sind schon weit vom Ufer und ich kann nicht schwimmen! Ich will sie von mir stoßen – wie eine Katze klammert sie sich an meine Kleider, und plötzlich hätte sie mit einem heftigen Stoß mich beinah ins Meer gestürzt. Der Kahn begann bereits zu schwanken, aber ich gewann das Gleichgewicht wieder, – und nun begann zwischen uns ein verzweifelter Kampf. Der Zorn verdoppelt meine Kräfte, aber ich fühle bald, daß meine Gegnerin mir an Gewandtheit überlegen ist.
     
    "Was willst du denn!" schrie ich und preßte mit aller Macht ihre kleinen Hände. Ihre Finger krachen unter den meinen, aber sie stieß nicht einen einzigen Schrei aus; ihre Schlangennatur ertrug eine solche Tortur.
     
    "Du hast uns gesehen," antwortete sie; "du willst uns anzeigen."
     
    Und mit einer übernatürlichen Anstrengung warf sie mich auf den Rand des Kahnes; wir hängen beide bis zum Gürtel aus dem schwachen Fahrzeug heraus; ihre Haare schwimmen bereits auf dem Wasser; es war ein entscheidender Augenblick. Ich stemme meine Knie gegen den Boden des Kahnes, ergreife sie mit der einen Hand bei den Haaren, mit der andern bei der Kehle. Sie läßt endlich meine Kleider los und ich werfe sie ins Meer ...
     
    Es war ziemlich finster; noch zweimal erschien ihr Kopf über den schäumenden Wellen, dann sah ich nichts mehr ...
     
    Auf dem Boden des Kahnes fand ich ein altes Ruder, mit dessen Hilfe es mir nach langer Anstrengung endlich gelang, die Küste wieder zu gewinnen. Indem ich an dem Ufer entlang meiner Hütte zuschritt, wandte ich unwillkürlich den Blick zurück nach der Stelle, wo am vorhergehenden Abend der blinde Knabe den nächtlichen Schiffer erwartet hatte.
     
    Der Mond stand bereits am Himmel, und es schien mir, als säße da am Ufer eine weiße Gestalt. Von Neugier getrieben, schlich ich durch das Gras an einer Art Vorsprung hinan. Ich erhob ein wenig den Kopf und

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