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Ein Held unserer Zeit

Ein Held unserer Zeit

Titel: Ein Held unserer Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Lermontow
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da konnte ich von meiner Anhöhe aus ganz gut sehen, was unter mir vorging. Wie groß war mein Erstaunen – mein fast freudiges Erstaunen, als ich meine Russalka erkannte. Sie drückte sich den Meeresschaum aus ihrem langen Haar; ihr ganz nasses Kleid ließ ihre schlanke Taille und ihre hohe Brust deutlich hervortreten. In demselben Augenblick zeigte sich in der Ferne eine Barke, die sich ihr rasch näherte. Aus derselben sprang wie am Abend vorher ein Mann mit einer Tatarenmütze, dessen Haare jedoch nach Kosakenart geschnitten waren und an dessen ledernem Gürtel ein großes Dolchmesser hing.
     
    "Janko," rief sie dem Schiffer zu, "Alles ist verloren."
     
    Dann begannen sie mit einander zu reden, aber so leise, daß ich nichts zu unterscheiden vermochte.
     
    "Und wo ist der Blinde?" sagte endlich Janko, die Stimme erhebend.
     
    "Er wird wol kommen ..." war die Antwort.
     
    Nach einigen Augenblicken erschien in der That der blinde Knabe mit einem Packet auf dem Rücken, das er in den Kahn legte.
     
    "Höre, Blinder," sagte Janko; "bewache diese Stelle ... Du weißt ja ... da sind kostbare Waaren d'rin ... Sage dem – (ich konnte den Namen nicht verstehen) – daß ich nicht mehr in seinem Dienste wäre. Die Dinge haben eine böse Wendung genommen; er wird mich nicht wiedersehen; die Gefahr ist jetzt zu groß; ich muß jetzt anderswo Arbeit suchen; aber einen so verwegenen Burschen wie mich wird er nicht wieder finden. Du kannst ihm sagen, daß, wenn er die gefährliche Arbeit besser bezahlt hätte, Janko ihn nicht im Stich gelassen haben würde. Für mich sind alle Wege gut; wo der Wind heult und das Meer brüllt, da ist mein Revier!"
     
    Nach einigen Augenblicken des Schweigens fuhr Janko fort:
     
    "Sie geht mit mir; hier kann sie nicht länger bleiben; sage der Alten, sie habe ihre Zeit hinter sich und damit müsse sie zufrieden sein. Sie würde uns nicht wiedersehen."
     
    "Und ich," fragte der Blinde mit klagender Stimme.
     
    "Was gehst du mich an," war die Antwort.
     
    Inzwischen war meine Undine in den Kahn gesprungen, und sie winkte jetzt ihrem Begleiter. Dieser drückte dem Blinden etwas in die Hand und murmelte:
     
    "Da, kauf' dir dafür ein Stück Kuchen."
     
    "Weiter nichts?" sagte der blinde Knabe.
     
    "Nun, da hast du noch etwas" – und ein Stück Geld fiel klirrend auf den felsigen Grund.
     
    Der Blinde hob es nicht auf. Janko setzte sich in den Kahn; vom Ufer wehte der Wind; sie setzten ein kleines Segel auf und das kleine Fahrzeug flog rasch über die Wellen.
     
    Noch lange folgten meine Augen beim Schein des Mondes dem weißen Segel, das sich von den dunklen Wellen abhob. Der Blinde saß noch immer am Gestade, und mir war es plötzlich, als hörte ich schluchzen ... Lange, lange weinte der blinde Knabe ... seine Traurigkeit ging mir zu Herzen.
     
    Warum hatte mich denn das Schicksal in diesen friedlichen Kreis ehrlicher Schmuggler geworfen? Wie ein Stein, den man in eine klare Quelle wirft, die Oberfläche derselben trübt, habe ich ihr ruhiges Leben gestört, – und wie ein Stein wär' auch ich beinah auf den Grund hinunter gesunken.
     
    Ich kehrte nach der Hütte zurück. Das Licht, das ich auf einen hölzernen Teller gestellt, war im Begriff zu erlöschen, und mein Kosak lag, seine Flinte in den Armen, trotz meines Befehls in tiefstem Schlaf. Ich wollte ihn nicht in seiner Ruhe stören, nahm das Licht und trat in die Hütte. Leider waren meine Schatulle, meine mit Silberborte eingefaßte Pelzmütze, sowie mein Dagestaner Dolch, das Geschenk eines Freundes, sämmtlich verschwunden. Da begriff ich, was in dem Packet gewesen, das der verfluchte Blinde in den Kahn gelegt. Ich weckte meinen Kosaken mit einem ziemlich unsanften Stoß, machte ihm Vorwürfe, ward wüthend – aber was sollt' ich machen! Und hätte ich mich nicht noch lächerlich gemacht, wenn ich mich beim Commandanten beschwert, daß ein blinder Knabe mich bestohlen, und ein achtzehnjähriges Mädchen mich beinah ertränkt hätte!
     
    Glücklicherweise bot sich am folgenden Morgen Gelegenheit zur Abreise, und so verließ ich Taman. Was aus der Alten und dem armen Blinden geworden – ich weiß es nicht. Und was kümmern mich auch die Freuden und Leiden der Mitmenschen – mich, der ich in Offiziersuniform reise, und noch dazu versehen mit einem Paß der Regierung! ...
     
     
    Fußnoten
     
     
    1 Bauernhütte.
     
     
     
4. Fürstin Mary.

 
     11. Mai.
     
     
    Ich bin gestern Abend in Pjätigorsk angekommen.

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