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Ein Held unserer Zeit

Ein Held unserer Zeit

Titel: Ein Held unserer Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Lermontow
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obern sowol wie die untern, sind so lang, daß die Sonnenstrahlen die Pupillen nicht erreichen können. Ich liebe solche Augen ohne Glanz: sie sind so sanft, es thut einem so wohl, sie zu betrachten! Und dann scheint es mir, daß auch alle ihre Züge schön und regelmäßig sind ... Aber ob sie weiße Zähne hat? Das ist ein sehr wichtiger Punkt! Schade, daß deine schöne französische Phrase sie nicht zum Lachen gereizt hat."
     
    "Du sprichst von einer schönen Frau wie von einem englischen Pferde," antwortete mir Gruschnitzki in vorwurfsvollem Tone.
     
    "Mon cher," versetzte ich und versuchte seinen Ton nachzuahmen, "je méprise les femmes pour ne pas les aimer, car autrement la vie serait un mélodrame trop ridicule."
     
    Mit diesen Worten wandte ich mich ab und ging meines Weges. Eine halbe Stunde lang promenirte ich in der von Weinranken beschatteten Allee, mitten unter Kalkfelsen und Buschwerk.
     
    Es war heiß geworden, und ich beeilte mich, nach Hause zurückzukehren. Als ich an der Schwefelquelle vorbeikam, blieb ich unter der bedeckten Galerie stehen, um mich in ihrem Schatten ein wenig auszuruhen, und da hatte ich Gelegenheit, Zeuge eines ziemlich merkwürdigen Schauspiels zu sein. Die handelnden Personen waren folgendermaßen vertheilt: Die Fürstin und der Moskauer Stutzer saßen auf einer Bank der Galerie, und sie schienen Beide in ein sehr ernstes Gespräch vertieft. Die Tochter der Fürstin, die vermuthlich soeben ihr letztes Glas getrunken, ging nachdenklich in der Nähe der Quelle auf und ab. Auch Gruschnitzki befand sich bei derselben, im übrigen war der Platz ganz leer.
     
    Ich näherte mich noch einige Schritte und verbarg mich hinter einer Ecke der Galerie. In diesem Augenblick ließ Gruschnitzki sein Glas auf den Sand fallen und strengte sich an, sich zu bücken, um es wieder aufzuheben; aber seine Wunde hinderte ihn daran. Der Aermste! Wie er sich mit Hilfe seines Krückstocks anstrengte – aber ganz umsonst. Sein Gesicht drückte in der That tiefes Leiden aus.
     
    Die Fürstin Mary sah das Alles noch besser als ich.
     
    Leichter als ein Vögelchen eilte sie auf ihn zu, hob das Glas auf und hielt es ihm mit einer unbeschreiblich anmuthigen Bewegung hin; dann erröthete sie, warf einen Blick auf die Galerie, und überzeugt, daß ihre Muttter nichts gesehen, schien sie sich sofort wieder zu fassen. Als Gruschnitzki den Mund aufthat, um ihr zu danken, war sie bereits fort.
     
    Einen Augenblick später kam sie mit ihrer Mutter und dem Stutzer aus der Galerie. Aber als sie an Gruschnitzki vorbeiging, nahm sie einen so würdevollen, stolzen Ausdruck an, – – ja, sie wandte sich nicht einmal um, bemerkte nicht einmal den leidenschaftlichen Blick, mit welchem er ihr den Berg hinunter folgte, bis sie hinter den Linden des Boulevards verschwunden waren ... Aber da gewahrte ich noch einmal ihren Hut, – sie schritt über die Straße und trat in eines der schönsten Häuser von Pjätigorsk; ihre Mutter folgte ihr, und an der Thür verabschiedete sie sich von Rajewitsch.
     
    Erst jetzt bemerkte der arme verliebte Fähndrich meine Gegenwart.
     
    "Hast du gesehen?" sagte er und drückte mir heftig die Hand. "Sie ist ein Engel!"
     
    "Warum denn?" fragte ich mit der aufrichtigsten Miene von der Welt.
     
    "Hast du's denn nicht gesehen?"
     
    "Was denn? Daß sie dir dein Glas aufgehoben hat? Wenn ein Aufseher dagewesen wäre, hätte er ganz dasselbe gethan, und zwar noch etwas schneller, da er ein Trinkgeld erwartet haben würde. Uebrigens ist es sehr natürlich, daß sie Mitleid mit dir hatte – du machtest eine so schauderhafte Grimasse, als du dich auf dein verwundetes Bein lehntest ..."
     
    "Und es hat dich gar nicht afficirt, als du bemerktest, wie in diesem Augenblick ihr Antlitz der Spiegel ihrer Seele war?"
     
    "Nein!"
     
    Ich log. Aber ich wollte ihn zornig machen. Ich habe eine angeborene Neigung zum Widersprechen. Mein ganzes Leben ist nur eine lange Kette von Widersprüchen zwischen meinem Verstande und meinem Herzen. Der Anblick eines Enthusiasten macht mich eisig kalt, und ich glaube, daß häufiger Verkehr mit einem trübseligen phlegmatischen Individuum mich in einen Zustand der Exaltation versetzen würde. Ich muß gestehen, daß sich in diesem Augenblick noch ein anderes, wenig angenehmes Gefühl, das mir aber wohl bekannt ist, leise in mein Herz geschlichen hatte. Dies Gefühl war der Neid. Ich sage ohne Umschweife Neid, weil ich daran gewöhnt bin, mir selbst immer die

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