Ein Held unserer Zeit
Wahrheit zu sagen; und ich frage, gibt es einen jungen Mann, der, wenn er einer schönen jungen Frau begegnet, die seine Aufmerksamkeit fesselt, gleichmüthig mit ansehen könnte, wie diese schöne Frau einen Andern, der ihr eben so unbekannt ist wie er selbst, in seiner Gegenwart auszeichnet? ... (Es versteht sich von selbst, daß ein solcher junger Mann in der großen Welt gelebt und seine Eigenliebe vollständig entwickelt haben muß).
Schweigend schritten Gruschnitzki und ich den Berg hinunter und gingen an dem Hause vorüber, in welchem unsere schöne Prinzessin wohnte. Sie saß am Fenster. Gruschnitzki warf ihr, indem er mir die Hand drückte, einen jener zärtlich traurigen Blicke zu, die in der Regel eine so geringe Wirkung auf die Frauen machen.
Ich richtete meine Lorgnette auf sie und bemerkte, daß sie über den Blick meines Begleiters lächelte, während meine kecke Lorgnette sie ärgerte. Und in der That, wie konnte sich ein Offizier der kaukasischen Armee erlauben, sein Augenglas auf eine Moskauer Fürstin zu richten? ...
* * *
13. Mai.
Heut' Morgen hat mich der Doctor besucht. Er heißt Werner, ist aber Russe. Nun, daran ist nichts Auffallendes. Ich habe einen gewissen Iwanoff gekannt, der ein Deutscher war.
Werner ist in mehr als einer Hinsicht ein merkwürdiger Mensch. Er ist Skeptiker und Materialist, wie fast alle Mediciner; aber er ist zugleich Poet, wirklicher Poet, – immer in seinen Handlungen und oft in seinen Reden, obgleich er niemals in seinem Leben zwei Verse geschrieben hat. Er hat alle Falten des menschlichen Herzens untersucht, wie man die Adern eines Kadavers untersucht, aber niemals hat er es verstanden, seine Kenntnisse zu verwerthen. So vermag manchmal der ausgezeichnetste Anatomiker nicht, einen Fieberkranken zu behandeln. In der Regel macht Werner sich im Geheimen über seine Kranken lustig; aber ich habe gesehen, wie er an dem Bette eines sterbenden Soldaten weinte ... Er ist arm und träumt von Millionen und doch würde er des Geldes wegen keinen einzigen Schritt thun. Er sagte mir eines Tages, daß er lieber einem Feinde als einem Freunde einen Dienst erweise; denn, setzte er hinzu, einem Freunde einen Dienst erweisen, heißt seine Güte verkaufen, während nur der Haß des Menschen die Kraft habe, sich zur Höhe eines großmüthigen Gegners zu erheben.
Er hat eine boshafte Zunge. Mehr als einmal haben seine satirischen Ausfälle aus einem gutmüthigen Menschen einen lächerlichen Dummkopf gemacht. Die andern Aerzte des Bades, die eifersüchtig auf ihn sind, haben das Gerücht verbreitet, Werner machte Caricaturen von seinen Kranken, – und seine Kranken wurden wüthend auf ihn und haben ihn fast alle verabschiedet. Seine Freunde, das heißt alle wirklich anständigen Beamten im Kaukasus haben sich vergeblich bemüht, ihm wieder Credit bei den Kranken zu verschaffen.
Werner gehört zu denjenigen Menschen, deren Aeußeres auf den ersten Blick nicht gefällt, die aber einen ganz andern Eindruck hervorbringen, sobald man in ihren unregelmäßigen Zügen das Gepräge eines starken edlen Herzens erkannt hat. Es ist nichts Seltenes, daß Frauen sich in solche Männer bis zum Wahnsinn verlieben, und daß sie die Häßlichkeit derselben nicht mit der Schönheit eines Endymion vertauschen möchten. Man muß den Frauen die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß sie einen Instinkt für die Schönheit der Seele haben, – und das ist auch vielleicht der Grund, weshalb Männer wie Werner die Frauen so leidenschaftlich lieben.
Werner ist klein, mager und schwach wie ein Kind. Wie bei Byron ist der eine seiner Füße kürzer als der andere. Im Vergleich zu dem übrigen Körper ist der Kopf sehr groß. Er trägt das Haar kurzgeschnitten und die Unebenheiten seines Schädels, in dieser Weise bloßgelegt, würden einem Phrenologen durch die Mischung der verschiedenartigsten Neigungen in Erstaunen setzen. Seine kleinen schwarzen, immer unruhigen Augen scheinen unsere innersten Gedanken ergründen zu wollen.
Sein Anzug verräth Geschmack und Sorgfalt. Seine kleinen magern Hände sind mit hellgelben Handschuhen bedeckt. Er trägt beständig einen schwarzen Ueberrock, schwarze Cravatte und schwarze Weste. Die Jugend hat ihn Mephistopheles getauft. Zum Schein protestirt er energisch gegen diesen Namen, aber in Wirklichkeit schmeichelt er seiner Eitelkeit.
Wir haben einander sehr bald verstanden und sind Freunde geworden, – eben
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