Ein Held unserer Zeit
darum, weil ich nicht zur Freundschaft geschaffen bin. Von zwei Freunden ist der eine immer der Sklave des andern, wenngleich oft weder der eine noch der andere das eingesteht. Aber ich kann keines Menschen Sklave sein, und was die andere Rolle betrifft, so ist das Herrschen zu ermüdend, denn man muß nicht blos commandiren, sondern auch zugleich täuschen, und zudem habe ich Lakaien und Geld. Ich habe Werner's Bekanntschaft bei S. gemacht. Es gab dort eine zahlreiche und ziemlich geräuschvolle Gesellschaft junger Leute. Das Gespräch kam schließlich auf philosophisch-metaphysische Gegenstände. Man sprach von Ueberzeugungen, und ein Jeder gab die seine zum Besten.
"Was mich betrifft," sprach der Doctor, "so bin ich nur einer einzigen Ueberzeugung."
"Und die ist?" fragte ich; denn ich war begierig, die Meinung eines Mannes kennen zu lernen, der bis dahin den Mund nicht aufgethan hatte.
"Daß ich früher oder später eines schönen Morgens sterben werde."
"Nun, da bin ich reicher als Sie," versetzte ich, "denn ich weiß außerdem, daß ich an einem sehr schlechten Abend das Unglück hatte, geboren zu werden."
Alle Anwesenden erklärten, daß wir dummes Zeug schwätzten, aber es war in der That Niemand da, der etwas Vernünftigeres gesagt hätte, als wir.
Seit diesem Tage trennten wir uns von dem großen Haufen. Wir gingen oft zusammen spazieren und besprachen mit feierlichem Ernst die abgezogensten Gegenstände, bis wir endlich bemerkten, daß wir uns gegenseitig täuschten. Da blickten wir uns vielsagend in die Augen und brachen, wie nach Cicero's Versicherung die römischen Auguren, in Lachen aus – und als wir uns ausgelacht, gingen wir sehr zufrieden auseinander.
Ich lag auf einem Sofa, die Augen nach der Decke gerichtet und die Arme unter dem Kopfe gekreuzt, als Werner in mein Zimmer trat. Er stellte seinen Stock in die Ecke, setzte sich in einen Lehnstuhl, gähnte und theilte mir dann mit, daß es draußen sehr warm sei.
Ich erwiderte, daß ich sehr von den Mücken belästigt würde – und wir beobachteten beide Schweigen.
"Haben Sie schon die Beobachtung gemacht, lieber Doctor," bemerkte ich endlich, "daß es ohne die Dummköpfe sehr langweilig hier auf Erden wäre? ... Da sitzen oder liegen wir zwei klugen Leute einander gegenüber. Wir wissen zum Voraus, daß man über Alles bis ins Unendliche disputiren kann, und darum disputiren wir gar nicht. Jeder von uns kennt fast alle geheimen Gedanken des Andern. Ein einziges Wort genügt, um uns eine ganze Geschichte mitzutheilen; wir erkennen den Keim jedes unserer Gefühle durch seine dreifache Hülle hindurch. Was Anderen traurig erscheint, finden wir lächerlich, und was lächerlich ist, erscheint uns betrübend, – und doch sind wir gegen Alles, was nicht unsere eigene Person angeht, ziemlich gleichgiltig. Unter solchen Umständen ist auch ein gegenseitiger Austausch von Gedanken und Gefühlen bei uns nicht möglich. Wir wissen Einer von dem Andern Alles, was wir wissen können; und mehr wollen wir nicht wissen. Es bleibt uns nur ein Mittel, die Unterhaltung zu beleben, nämlich uns Neuigkeiten zu erzählen. Erzählen Sie mir irgend eine Neuigkeit."
Ermüdet durch diese lange Rede schloß ich die Augen und gähnte.
Nach einigem Nachdenken antwortete der Doctor:
"In all dem Galimathias ist doch noch ein Gedanke."
"Zwei!" versetzte ich.
"Gut. Sagen Sie mir den einen; ich werde Ihnen den andern sagen."
"Sehr schön. Beginnen Sie," erwiderte ich, indem ich wieder zur Decke blickte und innerlich lächelte.
"Sie wünschen einige nähere Angaben über die Personen, die sich hier im Bade befinden, und ich errathe schon, mit welchen Sie sich beschäftigen, denn sie haben sich schon nach Ihnen erkundigt."
"Doctor, wir haben wirklich nicht nöthig, uns etwas zu erzählen; wir lesen gegenseitig in unserer Seele."
"Und jetzt der andere Gedanke."
"Der zweite Gedanke ist dieser: Ich wollte Sie zum Erzählen veranlassen, erstens, weil das Zuhören weniger ermüdend für mich ist als das Reden; zweitens, weil ich Ihnen dann nicht zu widersprechen brauche; drittens, weil ich auf diese Weise vielleicht irgend ein fremdes Geheimniß erfahre, und viertens, weil kluge Leute wie Sie lieber reden als zuhören. Und nun zur Sache: Was hat Ihnen die alte Fürstin Ligowski von mir erzählt?"
"Sind Sie denn so überzeugt, daß die Mutter und nicht die Tochter von Ihnen
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