Ein Held unserer Zeit
mit der Fürstin verwandt ist, eine sehr schöne Frau, aber wie es scheint, auch sehr krank ... Haben Sie sie heut' Morgen bei der Quelle nicht bemerkt? – mittlere Größe, Blondine, regelmäßige Züge, schwindsüchtige Gesichtsfarbe und auf der rechten Wange ein kleiner schwarzer Fleck. Der Ausdruck dieses Gesichts ist mir aufgefallen."
"Ein kleiner Fleck," murmelte ich durch die Zähne. "Ist's möglich!"
Der Doctor sah mich an, legte mir die Hand aufs Herz und sagte triumphirend:
"Sie ist Ihnen bekannt."
Mein Herz schlug in der That heftiger als gewöhnlich.
"Dies Mal," versetzte ich, "ist an Ihnen die Reihe zu triumphiren. Aber ich muß mich Ihnen anvertrauen; Sie dürfen mich nicht täuschen. Ich habe sie noch nicht gesehen. Allein nach der Schilderung, die Sie mir von ihr entworfen, erkenne ich in ihr eine Frau, die ich einstens liebte ... Sagen Sie ihr kein Wort von mir; und wenn sie Sie fragen sollte, reden Sie so ungünstig wie möglich von mir."
"Ihr Wille geschehe," sprach Werner achselzuckend.
Als er fortgegangen war, schnürte mir eine schreckliche Traurigkeit das Herz zusammen. Ist es der Zufall, der uns von neuem im Kaukasus vereint hat? Oder ist sie hierhergekommen mit der Gewißheit, mich hier zu treffen? Und wie werden wir uns wieder begegnen? ... Und dann? ...
Meine Ahnungen haben mich nie getäuscht. Ueber keinen Menschen in der Welt hat die Vergangenheit eine solche Gewalt, wie über mich. Jede Erinnerung an eine Freude oder ein Leid fällt unerbittlich in meine Seele, ohne daß die Eindrücke sich abschwächen ...
Ich bin ganz abscheulich organisirt: Ich vergesse nichts – gar nichts!
Nach dem Essen, gegen sechs Uhr, begab ich mich nach dem Boulevard, wo sich die Mehrzahl der Badegäste vereinigt fand. Die Prinzessin und ihre Tochter saßen auf einer Bank, umgeben von einer Schaar junger Leute, die in Liebenswürdigkeiten mit einander wetteiferten. Ich setzte mich in einiger Entfernung auf eine andere Bank neben zwei Offiziere meiner Bekanntschaft und begann diesen etwas zu erzählen; sie mußten das wol sehr amüsant finden; denn sie lachten aus vollem Halse. Die Neugier zog einige von den Curmachern der jungen Fürstin zu mir herüber; dies Beispiel wirkte ansteckend; bald sahen sich die Damen vollständig verlassen. Ich blieb am Reden. Meine Anekdoten waren witzig bis zur Albernheit; meine Bemerkungen über vorübergehende originelle Badegäste waren voll boshaftester Ironie ... In dieser Weise fuhr ich fort, mein Publikum zu erheitern bis zum Sonnenuntergang.
Mehr als einmal war die junge Fürstin am Arm ihrer Mutter, die von einem hinkenden kleinen Greise geführt wurde, an uns vorübergekommen; mehr als einmal hatte sie mir einen Blick zugeworfen, der hellen Aerger ausdrückte, obgleich sie sich bemühte, ihm einen Ausdruck von Gleichgiltigkeit zu geben.
"Was hat er Ihnen denn erzählt?" fragte sie einen der jungen Leute, die aus Höflichkeit zu ihr zurückgekehrt waren. "Ohne Zweifel eine sehr interessante Geschichte – einige seiner Heldenthaten auf dem Schlachtfelde ..."
Sie sagte das sehr laut, wahrscheinlich in der Absicht, mich zu verletzen.
Aha, dachte ich. Ja, ja, meine schöne Fürstin, Sie haben Ursache, böse auf mich zu sein. Geduld, es kommt noch besser!
Gruschnitzki folgte ihr wie ein Raubthier; er verlor sie keinen Augenblick aus den Augen. Ich möchte wetten, daß er schon morgen Jemand ersucht, ihn der Fürstin vorzustellen. Sie wird darüber hoch erfreut sein, denn sie langweilt sich.
* * *
16. Mai.
Seit zwei Tagen haben meine Angelegenheiten ganz ungewöhnliche Fortschritte gemacht. Ganz entschieden, die junge Fürstin haßt mich. Sie hat mir bereits zwei oder drei sehr beißende aber zugleich sehr schmeichelhafte Epigramme an den Kopf geworfen. Sie findet es im höchsten Grade auffallend, daß ich, der ich an die vornehmste Gesellschaft gewöhnt bin, und auf einem sehr freundschaftlichen Fuße stehe mit ihren Petersburger Cousinen und Tanten, nicht den Versuch mache, mich ihrer Mutter vorstellen zu lassen.
Wir begegnen uns täglich an der Quelle und auf dem Boulevard. Ich scheue keine Mühe, ihr nach und nach alle Anbeter zu entführen: die glänzenden Adjutanten, die blassen Moskauer und die Andern – und es glückt mir fast immer. Früher konnte ich mich nicht dazu entschließen, Gäste bei mir zu sehen; jetzt ist mein Haus alle Tage voll. Man
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