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Ein Held unserer Zeit

Ein Held unserer Zeit

Titel: Ein Held unserer Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Lermontow
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nicht werth, daß man sich seinetwegen so viel Mühe gibt. Und doch bleibt man am Leben – aus Neugier, in Erwartung irgend etwas Neuem ... Das ist lächerlich und traurig zugleich!
     
     
    Schon sechs Wochen befinde ich mich im Fort N. Maxim Maximitsch ist auf der Jagd ... Ich bin allein; ich sitze am Fenster. Graue Wolken bedecken Berge und Höhen; und die Sonne erscheint durch den Nebel wie ein gelber Fleck. Es ist kalt; der Wind pfeift und schüttelt die Fensterläden ... Welch eine Langeweile! ... Ich werde mein Tagebuch fortsetzen, das durch so außerordentliche Ereignisse unterbrochen wurde.
     
    Ich habe die letzte Seite wieder überlesen: Lächerlich! – Ich glaubte zu sterben; das war unmöglich; ich habe das Maß meiner Leiden noch nicht erschöpft, und jetzt fühle ich, daß ich noch lange zu leben habe.
     
    Meine ganze Vergangenheit schwebt klar und leibhaftig an meinem Geiste vorüber. Nicht einen Zug, nicht eine Schattirung hat die Zeit verwischt!
     
    Ich erinnere mich, daß ich in der Nacht, die dem Duell vorausging, nicht eine Minute schlafen konnte. Auch zu schreiben vermochte ich nicht lange; eine geheime Unruhe hatte sich meines ganzen Wesens bemächtigt.
     
    Etwa eine Stunde schritt ich im Zimmer auf und ab; dann setzte ich mich wieder und schlug einen Roman von Walter Scott auf, der auf meinem Tische lag; es waren die Puritaner von Schottland. Anfangs machte mir das Lesen große Mühe; dann vergaß ich mich, hingerissen von dem Zauber dieser Erzählung.
     
    Endlich begann der Tag anzubrechen. Meine Nerven hatten sich beruhigt. Ich blickte in den Spiegel; eine matte Blässe bedeckte mein Gesicht, das die Spuren einer schlaflosen Nacht trug; aber meine Augen, obgleich etwas trübe, hatten noch einen Ausdruck unbeugsamen Stolzes. Ich war mit mir zufrieden.
     
    Als ich die Pferde hatte satteln lassen, kleidete ich mich an und eilte nach der Quelle. Als ich dort in das frische Wasser tauchte, fühlte ich, wie meine physischen und moralischen Kräfte zurückkehrten. Frisch und entschlossen, als ginge es zum Balle, verließ ich die Badewanne. Und da sage einer noch, der Geist sei unabhängig vom Körper! ...
     
    Bei meiner Rückkehr fand ich den Doctor in meiner Wohnung. Er trug eine graue Reithose, eine Art Seidenjaquet und eine Tscherkessenmütze. Ich mußte laut auflachen, als ich diese kleine Gestalt mit einer so ungeheuren kriegerischen Mütze bedeckt sah. Sein Gesicht hat wirklich gar nichts Martialisches, und bei dieser Ausstaffirung erschien es noch länger als gewöhnlich.
     
    "Aber warum, Doctor, diese trübselige Miene?" sagte ich zu ihm. "Haben Sie nicht hundertmal Menschen mit der größten Gleichgiltigkeit in die andere Welt befördert? Bilden Sie sich ein, ich litte an einem Gallenfieber; ich kann wieder gesund werden; ich kann auch das Zeitliche segnen; das Eine wie das Andere liegt in der Natur der Dinge. Versuchen Sie, mich als einen Patienten zu betrachten, dessen eigentliche Krankheit Sie noch nicht kennen, – und dann wird im höchsten Grade Ihre Neugier erregt werden; Sie haben jetzt Gelegenheit, an mir einige sehr wichtige physiologische Beobachtungen zu machen ... Oder ist die Erwartung eines gewaltsamen Todes nicht eine wirkliche Krankheit?"
     
    Dieser Gedanke frappirte den Doctor, und er wurde wieder heiter.
     
    Wir stiegen zu Pferde. Werner klammerte sich mit beiden Händen an den Zügel, und wir brachen auf.
     
    Im Augenblick hatten wir das Fort und das Dorf hinter uns und eilten dem Thalgrund zu, durch welchen sich ein Weg zieht, der zum Theil mit hohem Grase bedeckt ist und jeden Augenblick von rauschenden Waldbächen durchschnitten wird, durch welche wir hindurchwaten mußten – zur großen Verzweiflung des Doctors, dessen Pferd hartnäckig mitten im Wasser stehen bleiben wollte.
     
    Ich erinnere mich nicht, jemals einen frischeren, schöneren Morgen erlebt zu haben! Die Sonne begann hinter den grünen Wipfeln der Bäume hervorzukommen, und die schmeichelnde Wärme ihrer ersten Strahlen, welche die Frische der kaum verscheuchten nächtlichen Schatten bekämpften, brachte mich in eine süß-melancholische Stimmung. In die Thalschlucht war das Morgenlicht des jungen Tages noch nicht eingedrungen; es vergoldete erst die Spitzen der Felsen, die zu beiden Seiten über unsern Häuptern hingen. Die langen Zweige der Gebüsche, welche die Vertiefungen dieser Felsen bedeckten, bewegten sich bei dem geringsten Windhauche und überschütteten uns mit einem silbernen

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