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Ein Held unserer Zeit

Ein Held unserer Zeit

Titel: Ein Held unserer Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Lermontow
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hier ist eine tiefe Schlucht; dorthin werden sie sich morgen früh vier Uhr begeben und wir folgen eine halbe Stunde später. Die Distance ist sechs Schritt – so hat es Gruschnitzki selbst verlangt. Der Gefallene kommt auf Rechnung der Tscherkessen. Und nun hören Sie, was für einen Verdacht ich habe: Sie – das heißt die Secundanten Ihres Gegners – müssen ihren früheren Plan ein wenig geändert haben und wollen nur Gruschnitzki's Pistole laden. Das sieht ein wenig aus wie Mord; aber in Kriegszeiten und vor allem in einem asiatischen Kriege ist die List erlaubt. Indeß scheint mir Gruschnitzki ehrenhafter zu sein als seine Kameraden. Was meinen Sie? Sollen wir ihnen zeigen, daß wir Alles wissen?"
     
    "Nein, Doctor, um keinen Preis! Beruhigen Sie sich nur; sie sollen mich nicht zum Narren haben."
     
    "Aber was gedenken Sie denn zu thun?"
     
    "Das ist mein Geheimniß."
     
    "Seien Sie auf Ihrer Hut! Die Sache ist ernst! Bedenken Sie, sechs Schritt!"
     
    "Doctor, ich erwarte Sie morgen früh vier Uhr; die Pferde werden bereit sein. Leben Sie wohl!"
     
    Ich blieb bis zum Abend in mein Zimmer eingeschlossen. Ein Diener kam und brachte mir eine Einladung von der Fürstin. Ich ließ sagen, ich sei krank. – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
     
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    Zwei Uhr Nachts ... Es ist mir nicht möglich, zu schlafen, und doch wäre es nöthig, mich ein wenig auszuruhen, damit meine Hand nicht zittert. Uebrigens ist es schwer, auf sechs Schritt seinen Mann zu verfehlen. Ah, Herr Gruschnitzki, Ihre Mystification wird Ihnen nicht gelingen ... Wir werden die Rollen vertauschen: Jetzt werde ich auf Ihrem blassen Gesicht geheimen Schrecken lesen. Warum sind Sie denn auch so versessen auf diese sechs Schritt? Glauben Sie denn, ich würde meine Stirn nur so höflichst Ihrer Kugel präsentiren? Nein, wir werden loosen ... und dann ... dann ... Wie, wenn ihm der Zufall hold wäre? Wenn mein Glücksstern mich endlich verließe? ... Und in der That, er hat so lange blindlings meine Launen begünstigt ...
     
    Wie, sterben! So sterben! Die Welt wird keinen großen Verlust an mir erleiden, und ich selbst bin des Lebens überdrüssig. Ich gleiche einem Menschen, der auf dem Balle gähnt, und der nur darum noch nicht fortgeht, weil sein Wagen noch nicht da ist. Aber mein Wagen steht bereit ... Gute Nacht!
     
    Ich lasse die ganze Vergangenheit an meinem Geiste vorüberziehen, und da frage ich mich unwillkürlich: Warum hast du gelebt? Zu welchem Zweck bist du geboren? ... Und doch war ein Zweck vorhanden, und doch war ich vielleicht zu etwas Hohem und Edlem bestimmt; denn ich fühle in mir eine außerordentliche Kraft ... Aber ich habe diese Bestimmung nicht begriffen, ich habe mich blenden lassen durch schlechte und eitle Leidenschaften; aus ihrem Schmelzofen bin ich hart und kalt wie Eisen hervorgegangen. Aber auf immer habe ich die Flamme edler Bestrebungen, – die schönste Blume des Lebens, – verloren. Und wie oft habe ich seitdem nicht schon die Rolle des Beils in der Hand des Schicksals gespielt! Ein Werkzeug der Züchtigung, bin ich auf die Häupter unschuldiger Opfer gefallen – oft ohne Zorn, immer ohne Mitleid ... Meine Liebe hat Niemandem Glück gebracht, weil ich denen, die ich liebte, nie etwas opferte .... Ich liebte nur für mich selbst, zu meiner persönlichen Genugthuung; ich suchte nur ein seltsames Bedürfniß meines Herzens zu befriedigen; gierig verschlang ich ihre Empfindungen, ihre Zärtlichkeiten, ihre Freuden und Leiden – und niemals konnte ich mich sättigen. So sieht der Unglückliche, der vom Hunger erschöpft einschläft, im Traume die schmackhaftesten Gerichte und die auserlesensten Weine vor sich stehen; er labt sich entzückt an diesen eingebildeten Geschenken seiner Phantasie, und er fühlt sich erquickt. Aber sobald er erwacht, zerfließt das Traumbild in nichts. Sein Hunger hat sich verdoppelt, seine Verzweiflung ist größer denn je!
     
    Vielleicht ist dies mein letzter Tag!.. und kein Wesen wird auf der Erde zurückbleiben, das mich vollkommen verstanden hätte. Die Einen halten mich für schlechter, die Andern für besser als ich in Wirklichkeit bin ... Die Einen werden sagen: Er war ein guter Junge; die Andern: Er war ein nichtswürdiges Subject. Beide sind gleich weit von der Wahrheit entfernt. Das Leben ist es

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