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Ein Held unserer Zeit

Ein Held unserer Zeit

Titel: Ein Held unserer Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Lermontow
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Regen. In diesem Augenblicke fühlte ich lebhafter als irgend jemals, daß ich die Natur liebte. Mit welchem Vergnügen betrachtete ich die Thautropfen, welche an den breiten Rebenblättern hingen und Millionen regenbogenfarbige Strahlen zurückwarfen! Mit welchem Interesse suchte mein Blick in das nebelbedeckte Thal einzudringen! Da wird der Weg immer schmaler; die Felsen werden immer finsterer und furchtbarer, bis sie endlich in einander überzugehen scheinen, um eine undurchdringliche Mauer zu bilden. Schweigend ritten wir unseres Weges.
     
    "Haben Sie Ihr Testament gemacht?" fragte mich Werner plötzlich.
     
    "Nein."
     
    "Und wenn Sie fallen?"
     
    "Die Erben werden sich schon von selbst einfinden."
     
    "Haben Sie denn keinen Freund, an den Sie ein Abschiedswort richten möchten?"
     
    Ich schüttelte den Kopf.
     
    "Gibt es keine Frau auf Erden, der Sie irgend ein Andenken zurücklassen möchten?"
     
    "Wollen Sie, Doctor, daß ich Ihnen das Innerste meiner Seele erschließe? ... Sehen Sie, ich bin über das Alter hinaus, wo man sterbend den Namen seiner Geliebten ausspricht, und wo man einem Freunde eine pomadisirte oder auch nicht pomadisirte Haarlocke vermacht. Angesichts eines nahen und möglichen Todes denke ich nur an mich selbst. Wie manche thun auch das nicht! – Und an wen sollte ich denken? An Freunde, die mich morgen vergessen, oder die, was noch schlimmer ist, Gott weiß welche Albernheiten auf meine Rechnung setzen werden; an Frauen, die in den Armen eines Andern sich über mich lustig machen werden, um ihnen keinen Grund zur Eifersucht zu geben ... Nun, fort mit ihnen! Nein, aus dem Sturm des Lebens rette ich nur einige Ideen – aber kein einziges Gefühl. Schon längst ist mein Herz abgestorben; nur der Kopf lebt noch. Ich prüfe, ich untersuche alle meine Leidenschaften und Handlungen mit großer Neugier, aber ohne Interesse. Zwei Wesen leben in meiner Brust; das eine lebt im vollen Sinne des Wortes; das andere beobachtet und richtet das erste; dieses wird Ihnen und dieser Welt vielleicht in einer Stunde auf immer Lebewohl sagen ... und das zweite ... das zweite ... Sehen Sie, Doctor ... erblicken Sie da unten auf dem Felsen, da rechts, nicht drei Gestalten? Das scheinen unsere Gegner zu sein ..."
     
    Wir spornten unsere Pferde zu größerer Eile an.
     
    Am Fuße des Felsens, mitten im Gesträuch, standen drei Pferde angebunden. Wir banden die unsern an derselben Stelle fest und gelangten auf einem schmalen Pfade nach einer Plattform, wo uns Gruschnitzki mit seinem Secundanten, dem Dragonerhauptmann und einem gewissen Iwan Ignajewitsch erwartete; den Namen des Letzeren hatte ich nie gehört.
     
    "Wir erwarten Sie schon lange," sagte der Dragonerhauptmann mit ironischem Lächeln.
     
    Ich zog meine Uhr aus der Tasche und zeigte sie ihm.
     
    Er entschuldigte sich, indem er behauptete, die seine ginge vor.
     
    Einige Minuten verstrichen unter peinlichem Schweigen. Endlich brach es der Doctor, indem er sich an Gruschnitzki wandte.
     
    "Mir scheint, meine Herren," sagte er, "daß, nachdem Sie Beide sich bereit gezeigt, sich zu schlagen und den Forderungen der Ehre zu genügen, Sie sich erklären und diesen Streit in freundschaftlicher Weise beenden könnten."
     
    "Ich bin dazu bereit," sagte ich.
     
    Der Hauptmann gab Gruschnitzki ein Zeichen, und dieser, in der Meinung, ich habe Angst, nahm eine stolze Miene an, obgleich bisher eine außerordentliche Blässe sein Gesicht bedeckt hatte. Zum ersten Mal seit unserer Ankunft richtete er seine Augen auf mich; aber in seinem Blicke lag etwas Unruhiges, das seine innere Aufregung verrieth.
     
    "Sagen Sie uns Ihre Bedingungen," sprach er; "und seien Sie überzeugt, daß Alles, was ich thun kann ..."
     
    "Meine Bedingungen sind diese: Sie nehmen heut' öffentlich Ihre verleumderischen Worte zurück und bitten mich um Verzeihung ..."
     
    "Mein geehrter Herr, ich bin erstaunt, daß Sie mir solche Dinge vorzuschlagen wagen."
     
    "Und was könnte ich Ihnen denn sonst vorschlagen?"
     
    "Gut, dann schießen wir uns."
     
    Ich zog die Schultern in die Höhe:
     
    "Meinetwegen; nur bedenken Sie, daß Einer von uns unfehlbar fallen muß."
     
    "Ich wünsche, daß Sie es sind."
     
    "Und ich bin vom Gegentheil überzeugt."
     
    Er wurde unruhig, erröthete, und begann dann gezwungen zu lachen.
     
    Der Hauptmann nahm ihn unter den Arm und führte ihn bei Seite. Lange flüsterten sie mit einander.
     
    Ich war in ziemlich friedlicher Gemüthsstimmung

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