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Ein Held unserer Zeit

Ein Held unserer Zeit

Titel: Ein Held unserer Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Lermontow
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die er mit affectirter Ernsthaftigkeit gesprochen, stellte er sich wieder auf seinen Platz. Iwan Ignatjewitsch umarmte Gruschnitzki ebenfalls, und zwar mit Thränen in den Augen, – und da stand er mir nun allein gegenüber.
     
    Bis zu diesem Moment suche ich mir noch von den Gefühlen Rechenschaft zu geben, welche in diesem Augenblick meine Brust bewegten: Es war das Gefühl verletzter Eigenliebe, Verachtung und Zorn, welche in mir entstanden bei dem Gedanken, daß dieser Mensch, der mich jetzt so zuversichtlich, so unverschämt ruhig ansah, mich zwei Minuten vorher wie einen Hund hatte niederschießen wollen, ohne sich selbst der geringsten Gefahr auszusetzen, – denn hätte die Kugel mich etwas stärker am Fuße verwundet, so wäre ich unfehlbar in den Abgrund hinuntergestürzt.
     
    Einige Augenblicke sah ich ihm fest ins Gesicht, um in seinen Zügen irgend eine Spur von Reue zu entdecken. Aber es schien mir, als ob er ein Lächeln unterdrückte.
     
    "Ich rathe Ihnen, vor Ihrem Tode zu Gott zu beten," sagte ich dann zu ihm.
     
    "Sie brauchen sich wegen meiner Seele nicht mehr zu beunruhigen, als wegen Ihrer eigenen. Ich bitte Sie nur um eins: schießen Sie recht bald."
     
    "Und Sie nehmen Ihre Verleumdung nicht zurück? Sie bitten mich nicht um Verzeihung? ... Bedenken Sie's wohl ... Hat Ihr Gewissen Ihnen nichts vorzuwerfen?"
     
    "Herr Petschorin," rief der Dragonerhauptmann, "erlauben Sie mir, Ihnen zu bemerken, daß Sie nicht hier sind, um eine Predigt zu halten ... Machen wir der Sache ein Ende! Es könnte Jemand durch die Schlucht kommen und uns sehen."
     
    "Schön. Doctor, kommen Sie mal her."
     
    Der Doctor näherte sich mir. Der arme Doctor! Er war viel blasser als Gruschnitzki vor zehn Minuten gewesen.
     
    Die folgenden Worte sprach ich mit lauter, ernster, feierlicher Stimme, wie wenn ich ein Todesurtheil verkündet hätte. Ich sagte:
     
    "Diese Herren haben wahrscheinlich in der Eile vergessen, eine Kugel in meine Pistole zu thun. Ich bitte Sie, noch einmal zu laden – und das ordentlich!"
     
    "Unmöglich," rief der Hauptmann, "unmöglich! Ich habe beide Pistolen geladen. Vielleicht ist die Kugel aus der Ihrigen herausgefallen ... das ist nicht meine Schuld! ... Aber Sie haben nicht das Recht, noch einmal zu laden ... nicht das geringste Recht ... Das ist vollständig gegen alle Duellregeln; ich gebe es nicht zu ..."
     
    "Gut," sagte ich zu dem Hauptmann. "Wenn es sich so verhält, werden wir uns unter denselben Bedingungen duelliren."
     
    Er wurde verblüfft. Gruschnitzki stand da vor mir mit finsterem Gesicht und gesenktem Kopfe.
     
    "Laß sie nur!" sagte er endlich zu dem Hauptmann, der dem Doctor meine Pistole aus den Händen reißen wollte. "Du weißt ja selbst, daß sie Recht haben."
     
    Umsonst gab ihm der Hauptmann alle möglichen Zeichen; Gruschnitzki wollte sie gar nicht bemerken. Inzwischen hatte der Doctor meine Pistole geladen und reichte sie mir.
     
    Als der Hauptmann das sah, spuckte er aus und stampfte mit dem Fuße.
     
    "Ein Narr bist du!" sagte er; "ein vollendeter Narr! ... Da du dich mir anvertraut hattest, mußtest du in allem auf mich hören ... Nun ist's deine Sache! Laß dich nur wie eine Fliege umbringen ..."
     
    Mit diesen Worten wandte er sich um und trat zurück, murmelte jedoch noch zwischen den Zähnen:
     
    "Und doch ist es gegen alle Duellregeln."
     
    "Gruschnitzki," sagte ich; "noch ist es Zeit. Nimm deine Verleumdung zurück, und ich verzeihe dir Alles. Es ist dir nicht geglückt, mich zum Besten zu haben, damit ist meine Eigenliebe befriedigt. Bedenke, wir waren einst Freunde ..."
     
    Sein Gesicht glühte, seine Augen funkelten.
     
    "Schießen Sie!" antwortete er. "Mich verachte und Sie hasse ich. Wenn Sie mich nicht umbringen, so drehe ich Ihnen bei der ersten Gelegenheit den Hals um. Für uns beide ist kein Platz mehr auf der Welt ..."
     
    Ich schoß ...
     
    Als der Dampf sich verzogen hatte, war der Platz, wo Gruschnitzki gestanden, leer, nur eine leichte Staubwolke schwebte noch an dem Rande des Abgrundes.
     
    Wir stießen Alle einen Schrei aus.
     
    "Finita la commedia," sagte ich zu dem Doctor.
     
    Er antwortete mir nicht und wandte sich schaudernd von mir ab.
     
    Ich zuckte die Achseln und verabschiedete mich mit einer Verbeugung von den Secundanten meines Gegners.
     
    Als ich den schmalen Pfad wieder hinunterstieg, gewahrte ich zwischen den Felsenspalten Gruschnitzki's blutige Leiche. Unwillkürlich schloß ich die Augen

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