Ein Herz bricht selten allein
Anzug und auf dem Kopf einen Hut. Unter diesem hatten sich in Poldis Gehirn Gedanken an Heirat, gemütliches Heim und gesicherte Existenz eingeschlichen, Gedanken, die jedem dieser Weltumstürzler verdächtig erscheinen mußten und über die er selbstverständlich auch mit Nancy niemals sprach.
Die Bilder und Skizzen, die Armand von seiner Reise mitgebracht hatte, stellten sich als gut heraus, wie Poldi sich eingestehen mußte, und Armand selbst besaß zweifellos Charme. Er war lebhaft und liebenswürdig und machte es seinen Gästen so behaglich, daß man die Armseligkeit des Studios vergaß. Armand frettete sich mühsam durchs Leben, aber Nancy behauptete, er sei im Kommen. Seine Arbeiten wurden fast durchweg gut kritisiert, und neuerdings gab es einflußreiche Leute, die ihn protegierten. Was seinen Durchbruch erschwerte, waren in erster Linie die enormen Dimensionen seiner Gemälde, In den Wohnungen der Durchschnittsbürger waren sie kaum unterzubringen. Armand sagte mit einem entschuldigenden Lächeln: »Vielleicht bin ich größenwahnsinnig, aber ich bringe es einfach nicht fertig, mich mit sechzig mal achtzig Zentimetern zu bescheiden, wenn mich der Farbenrausch packt und es auch eine Leinwand von zwei mal drei Metern gibt.«
Armand bewirtete Nancy und Poldi mit einer köstlichen Zwiebelsuppe, die er selbst gekocht hatte. Seine Mutter war Französin, und von ihr hatte er seine Geheimrezepte und auch das Talent, Menschen mehr Nettes als Unangenehmes zu sagen und die Wahrheit so reizend zu verpacken, daß man sie nie als eine Korrektur, sondern immer als ein Geschenk betrachtete. Poldi kam sich in seiner Gegenwart stramm und deutsch und ungenießbar vor, ein grobschlächtiger Frontkämpfer. Es fiel ihm schwer, nur einen einzigen vernünftigen Satz herauszubringen, weil dieser Armand, der zweifellos in Nancy verliebt war und auch gar kein Hehl daraus machte, eine Unzahl konfuser Regungen heraufbeschwor, mit denen Poldi nicht so leicht fertigwurde.
Warum hatte ihn Nancy bisher nie erwähnt? Warum war sie gleich am Tage nach seiner Rückkehr zu ihm gerannt? Und warum — bitte — sagte sie mit einem Blick in Armands Schlafkoje: »Oh, du hast immer noch dein wackliges, schmales Marterlager. Ich glaube, wir müssen da mal eine Kollekte für ein richtiges Bett machen.« Daß Armand genau den Bart trug, den Poldi für Nancy geopfert hatte, gab ihm den Rest. Wieso hatte sie sich bei ihrer ersten Begegnung über Bärte so geringschätzig ausgelassen? Wieso darf er und ich nicht, dachte Poldi gekränkt.
Er redete wenig an diesem Abend, aber es fiel gar nicht auf, denn Armand und Nancy redeten um so mehr. Sie hatten sich so viel zu erzählen, daß sie Poldi ganz vergessen zu haben schienen.
Es war sehr spät, als er mit Nancy im Taxi heimfuhr. In fünf Stunden würde er schon wieder vorm Computer sitzen und sich von Joe den Knoblauchgeruch ins Gesicht blasen lassen. Es müßte Maschinen geben, die auch die menschlichen Probleme lösen. Armand soll der Teufel holen, und New York soll vom Erdboden verschwinden! Poldi haßte die Welt, in der er lebte, und wünschte sich wieder in sein altes, zielloses Dasein zurück, ohne festen Job, dafür aber mit Bart und Weltverachtung. Er war noch nicht reif für die sogenannte gute Gesellschaft, er hätte noch viel länger herumzigeunern müssen. Aber Mama mit ihrem ewigen Drängeln nach einer Schablonenexistenz! Diese gräßlichen, verbohrten Mütter! Die halbe Fahrt dachte er mit Groll an Anna und schob ihr die Schuld für seinen Gemütszustand in die Schuhe. Dann wachte Nancy, die sich müde geredet und an seiner Schulter geschlummert hatte, plötzlich auf und bat um eine Zigarette.
»Du warst verstimmt heute abend«, sagte sie. »Magst du Armand nicht? Eigentlich muß man ihn doch mögen. Ich kenne niemand, der ihn nicht mag.«
»Ich war nicht verstimmt, ich war nur müde«, verteidigte sich Poldi. »Und selbstverständlich gefällt mir Armand.« Das klang nicht sehr ehrlich, sondern eher patzig.
Aber Nancy schien es nicht zu bemerken. Oder sie wollte es nicht bemerken. »Das Gewinnende an ihm ist seine Aufrichtigkeit. Und daß er seine eigenen Grenzen kennt. Er will nie mehr darstellen, als er ist.«
»Du kennst ihn sehr gut, was? Ihr steht euch ziemlich nah?«
Nancy lehnte ihren Kopf wieder gegen Poldis Schulter und sagte unter Gähnen: »Warum fragst du nicht geradeheraus, ob wir miteinander geschlafen haben?«
»Ich will doch keinen Kinsey-Test an dir
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