Ein Herz bricht selten allein
Aber er hielt ihre
gutgemeinten Worte wohl für Ironie, denn er knallte die Tür wortlos hinter sich
zu.
»Ist Papi böse?« wollte Bibi
wissen.
»Alle Männer sind böse, wenn
sie sich rasieren müssen, Schätzlein.«
Endlich hatte Anna den Plan für
ihr kleines Haus ausgearbeitet, ihn von dem >geòmetra< maßgerecht
zeichnen und zur Baugenehmigung nach Pisa einschicken lassen. Nun wartete sie
auf Bescheid. Das konnte vier Wochen, es konnte aber auch ebensogut vier Monate
dauern.
Frank und seine Familie waren
längst wieder nach Amerika zurückgekehrt. Susan hatte noch ganz groß
eingekauft: Napoleon en gros, Napoleon als Aschenbecher, Napoleon als Salzfaß,
als Brieföffner und als Fleischspieß, Napoleon auf Mokkatassen, auf
Trinkbechern, auf Streichholzschachteln und Napoleon in Alabaster als
Glühbirnenträger.
Susan hielt Anna
umfangen. Sie sagte ehrlich liebevoll: »You are a darling, you must come and
see us in America.«
»Ja, ich komme.« Sie kam sich
in Susans gepolsterten Armen dünn und kantig wie ein Bleistift vor.
»Du mußt aber auch wirklich
kommen«, sagte Frank, der sie als letzter umarmte. »Ich schick dir eine
Flugkarte. Und paß gut auf dich auf, Anna.«
»Ja, Franzi.«
»Mach keine Dummheiten! Dafür
sind unsere Kinder da.«
»Ich weiß.«
Ȇbrigens: Dein Poldi ist in
Ordnung.«
»Ich weiß.«
»Nein, das weißt du eben nicht.
Das weiß ich besser.«
»Na, dann ist’s ja gut,
Franzi.«
»Du denkst, er sei ein
Taugenichts. Aber aus dem wird mal was, das garantiere ich dir.«
Wie wohl das tat. Anna wurde
rot vor Freude. »Er ist vielleicht ein Spätzünder.«
»Er ist okay, mach dir keine
Sorgen.«
Als das weiße Schiff sich
langsam von der Mole entfernte, nahm Poldi Annas Arm. »Damit du mir nicht
zusammenklappst«, sagte er.
»Sehe ich so aus?«
»Ja, genauso. Ich kann mir
vorstellen, wie dir zumute ist, sagte er mit rauher Stimme. »Ihr solltet euch
wirklich öfter sehen, du und Frank.«
Sie winkte mit einem großen
weißen Taschentuch.
Zwei Tage später stand sie an
derselben Stelle und winkte wieder dem Schiff nach. Diesmal entführte es ihr
Poldi. Er hatte nicht darüber gesprochen, aber gewisse Anzeichen sprachen
dafür, daß er ziemlich fest umrissene Zukunftspläne hatte.
»Ich habe da einen Job in
Aussicht. Allerdings ziemlich weit weg, aber ich werde schon hinkommen«, hatte
er gesagt.
»Einen Job?«
»Mama, wenn du wüßtest, wieviel
Kritik du immer in deinen Tonfall legst. Manchmal haben wir es wirklich schwer
miteinander.«
»Ich werde meinen Tonfall
strenger unter Kontrolle halten. Also, was für ein Job ist denn das?«
»Ein Job eben. Dir wäre
natürlich ein Sohn in einer gesicherten Position lieber. Das Wort Job riecht
nicht gut. Du rümpfst innerlich die Nase, ich sehe es.«
Und da stand er nun, einer von
den vielen schwarzen Punkten auf dem Schiff. Es gibt tausend edlere Söhne,
Söhne, die reizend zu ihren Müttern sind, solche, auf die man stolz sein kann,
Söhne, die Karriere machen, dachte Anna. Aber diesen Sohn da, diesen keineswegs
idealen Sohn, liebe ich und möchte ihn gegen keinen anderen tauschen.
Sie fand bei ihrer Heimkehr
eine Anzahl Briefe unter einem Stein vor ihrer Tür. Daneben lag ein blühender
Myrtenzweig. Sicher hatte Patrizia die Briefe gebracht. Und endlich war auch
ein Lebenszeichen von Bettina dabei. Anna riß den Umschlag mit der großen,
stakeligen Handschrift auf.
»Liebste Mama, wie Du siehst,
bin ich wieder zu Hause gelandet. Ich habe gleich am ersten Tag Bibi geholt,
nachdem ich eine Nebenfrau aus dem Tempel gejagt hatte. Nein, nicht Lisa, wie
du vielleicht annimmst, sondern eine Zweitauflage. Lisa, die Ärmste, hat
Kreislaufstörungen und ein nervöses Magenleiden bekommen vor lauter Kummer
wegen Bernhard. Er hat sie nämlich sitzenlassen.
Ich bin mit einem ganzen Sack
guter Vorsätze hierhergekommen. Aber was nützen die besten Vorsätze! Bernhard will
mich los sein. Er liebt ein Mädchen, das enorme Qualitäten besitzen muß.
Offenbar hat er sich in den Kopf gesetzt, Bibi und mich auszuhungern. Er
knausert derartig mit dem Haushaltsgeld, daß ich mir schon überlegt habe, mal
ein paar von den Tauben zu fangen, die ab fünf Uhr morgens auf unserem Balkon
gurren. Bernhard nimmt seine Mahlzeiten außerhalb des Hauses ein. Nur das
Frühstück sieht die glückliche Familie vereint. Wir begeben uns beide in einem
Schweigemarsch an den Tisch, und die Konversation ist ein- bis höchstens
viersilbig. >Zucker
Weitere Kostenlose Bücher