Ein Herzschlag bis zum Tod
Jeans, ein legeres Hemd und einen Baumwollpulli aus. Als er aus der Kabine kam, hatte er Zachs Jogginganzug fein säuberlich zusammengerollt. Die junge Verkäuferin glotzte ihn an, als wäre er ein Rockstar. »Die Sachen lasse ich gleich an.« Sie überschlug sich fast, als sie die Preisschilder entfernte und den Jogginanzug einpackte. Dann gingen wir nach unten in die Kinderabteilung.
Ich dachte, er würde Paul eine Hose und einen Pulli kaufen, doch Dumond machte keine halben Sachen. Rasch wählte er einen ganzen Stapel Kleidungsstücke, die ihn selbst im Outlet noch mehrere Hundert Dollar kosten würden. Ich trat von einem Fuß auf den anderen. »Möglicherweise müssen Sie dafür an der Grenze Steuern bezahlen. Und Zoll auf alles, das nicht in den Staaten hergestellt wurde.«
Er zuckte mit den Schultern. »Wir sind einmal hier, also können wir das auch richtig erledigen.« Paul betrachtete sich in seiner neuen Jacke vor dem Spiegel. »Die meisten Sachen zu Hause dürften ohnehin nicht mehr passen.«
|101| Natürlich nicht. Paul war seit Dezember verschwunden gewesen – über fünf Monate. Kinder wachsen schnell. Daran hatte ich nicht gedacht.
Bei Bass gegenüber suchte Dumond Lederschuhe für Paul aus und kaufte bei Eastern Mountain Sports einen Seesack für die ganzen Kleider. Paul bewunderte die neuen Schuhe, während sein Vater an der Kasse stand. Wir hatten erst vor knapp einer Stunde das Haus verlassen. Es ist erstaunlich, wie schnell man einkaufen kann, wenn man nicht auf den Preis achten muss. Paul trug seine neuen Sachen, und nun war ich mit Abstand am schlechtesten gekleidet. Doch in Lake Placid nimmt man alles sehr locker, daher passe ich auch so gut in diese Stadt.
Wir gingen schweigend nach Hause. Paul hüpfte zwischen uns und hielt uns an den Händen. Die Sonne schien hell. Es war einer jener herrlichen Tage in den Adirondacks, an denen man sich freut, am Leben zu sein. Und sich wünscht, es möge immer so bleiben. Beinahe hätte ich selbst geglaubt, dass ich einen Lebensgefährten und einen kleinen Sohn hatte und mit ihnen spazieren ging.
Vor der Haustür sah Paul seinen Vater stirnrunzelnd an und fragte, ob sie nun nach Montreal zurückfahren würden.
Die Schaukel auf der Veranda quietschte, als Dumond sich daraufsetzte. »Nein, wir fahren nach Kanada zurück, aber nicht nach Montreal. Ich habe ein neues Haus in Ottawa gekauft.«
Die Furche zwischen Pauls Augenbrauen verschwand. Dann sprudelte er etwas auf Französisch hervor, das ich nicht verstand.
»
Oui, oui, c’est vrai
«, sagte Dumond und drückte seinen Sohn an sich. Unsere Blicke begegneten sich. »Er sagt, er sei glücklich, dass wir umgezogen sind. So könnten ihn die bösen Männer nicht mehr finden.«
Ich hatte einen Kloß in der Kehle. Also hatte Paul das alles doch nicht so mühelos abgeschüttelt. Natürlich nicht. Dies war |102| nicht der Fernsehfilm der Woche, ein Happy End in knapp zwei Stunden. Dies war das wirkliche Leben, und es tat weh. Er musste sich an vieles gewöhnen: ein neues Leben, eine neue Stadt, ein neues Haus. Ein Leben ohne Mutter.
»Ich packe seine Sachen«, sagte ich, ging nach oben und stopfte die Kleidung, die er getragen hatte, als ich ihn fand, in eine Tasche. Dazu die Sachen, die ich für ihn gekauft hatte, und auch die Buntstifte und das Malbuch. Sie stammten aus meiner Kindheit, würden mich aber nur an ihn erinnern. Ich fragte mich, ob ich ihn wohl besuchen durfte, aber Dumond wäre es gewiss lieber, wenn sein Sohn das alles hinter sich ließ.
Als ich mich zur Treppe wandte, kam Dumond gerade hoch. Ich hielt ihm die Tasche hin, aber er nahm sie nicht.
»Ich möchte, dass Sie mitkommen.«
Ich sah ihn verständnislos an. Dann fiel mir ein, dass mein Auto noch in Ottawa stand. Ich musste es natürlich abholen. »Ach so, mein Auto.«
»Nein, ich möchte, dass Sie eine Weile bei uns bleiben.« Ich konnte meine Überraschung nicht verbergen. »Sicher, wir haben Elise, aber Paul hängt sehr an Ihnen, und es würde ihm helfen, wenn Sie bei uns wären.«
Ich starrte ihn an.
»Das Haus ist groß. Sie können auch Ihren Hund mitbringen. Ich werde Sie für den Zeitaufwand entschädigen.«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, nein. Darum geht es nicht. Ich kann überall arbeiten.« Ich dachte fieberhaft nach. Ich mit Paul und seinem Vater in Ottawa. Vermutlich wäre es besser, jetzt gleich einen Schlussstrich zu ziehen, auch wenn es weh tat. Ein sauberer Schnitt, und ich würde in mein einsames Leben
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