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Ein Herzschlag bis zum Tod

Ein Herzschlag bis zum Tod

Titel: Ein Herzschlag bis zum Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara J. Henry
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vorbei gewesen. Ich murmelte etwas, löste mich aus seinem Griff und zog im Gehen die Tür hinter mir zu.
    Als er an mir vorbei ins Bad ging, hatte ich mir schon die Zähne geputzt, das Gesicht gewaschen und die Turnschuhe ausgezogen, war in meinen Schlafsack gekrochen und hatte mit etwas Mühe den BH unter den Kleidern ausgezogen. Ich stellte mich schlafend, und als ich die Augen wieder öffnete, war es Morgen.

|92| 15
    Ich schaute zum Fenster, ohne es wiederzuerkennen. Wo waren die Vorhänge mit den Comicfiguren, die ich in meinem Kinderzimmer gehabt hatte?
    Manchmal denke ich, dass man im Tiefschlaf in die Vergangenheit zurückkehrt und sich beim Aufwachen zunächst in einer völlig anderen Zeit und an einem anderen Ort befindet. Erst allmählich gelangt man zurück in die Gegenwart. An diesem Morgen war ich etwa acht Jahre alt, eine relativ unkomplizierte Phase.
    Von unten drangen Geräusche herauf: ein schrilles Jungenlachen, die tiefere Stimme eines Mannes, ein dritter stotterte. Mein Gehirn identifizierte sie als Paul, Dumond und Zach. Dann nahm das Fenster langsam Gestalt an: abblätternde Farbe am Rahmen, Vorhänge aus einem Bettlaken, das alte Glas, das auch nach dem Fensterputzen noch schmierig aussah.
    Meine Schlafzimmertür stand offen. Ich war allein. Selbst Tiger hatte mich verlassen.
    Als ich mich bewegte, verspürte ich nie gekannte Schmerzen. Ein Tag mit Dauerschwimmen, dann sechs Stunden Autofahrt, gefolgt von einer Expedition ins Unterholz – mein Körper hielt nicht viel von solchen Exzessen. Ich hätte gestern Abend heiß baden sollen.
    Ich wand mich aus dem Schlafsack und ging in mein Zimmer, um frische Kleidung zu holen. Das Bett war ordentlich gemacht, Dumonds Tasche nirgendwo zu sehen. Ich stolperte ins Badezimmer und stellte mich mit geschlossenen Augen unter |93| die Dusche, wobei es mir ausnahmsweise egal war, ob ich den Heißwassertank leer machte.
    Ich hatte Pauls Vater gefunden und Paul sicher bei ihm abgeliefert. Mein Abenteuer war vorbei. Ich musste den Aufruhr in meinem Inneren bewältigen und in meine sichere, rationale Existenz zurückkehren.
    Nur wusste ich nicht, wie.
    Der schwächliche Wasserstrahl wurde allmählich kalt. Ich stieg aus der Dusche und trocknete mich ab, wobei ich mich möglichst langsam bewegte. Kämmen erschien auch mit einem grobzinkigen Kamm unmöglich, und ich gab den Versuch auf. Mein Haar ist so dicht und gelockt, dass es ohnehin nicht auffällt.
    Ich zog Jeans und ein Polohemd an und ging barfuß nach unten, dabei hielt ich mich am Geländer fest.
    Mehrere Gesichter blickten vom Plastiktisch auf. Paul hüpfte beinahe vor Begeisterung, seine Augen strahlten, und sein Gesicht war so lebendig, wie ich es noch nie gesehen hatte.
    »Troy, Troy, Troy!«, rief er und zog die Beine unter der Bank hervor. »Guten Morgen!« Er kam auf mich zugerannt und schlang die Arme um meine Taille. Ich musste ihn einfach umarmen.
    »Hallo!«, sagte Zach und grinste breit. »H-heute Morgen sprechen w-wir alle Englisch.«
    »Gut«, sagte ich beinahe mürrisch. Meine Stimmbänder schienen wie eingerostet. »Ich glaube, ich habe mein Französisch ohnehin vergessen.«
    Dumonds Haare waren noch feucht, und er trug ein T-Shirt und einen Jogginganzug, die ich von Zach kannte. »Guten Morgen«, sagte er freundlich. »Zach war so nett, mir etwas zum Anziehen zu leihen und Paul Gesellschaft zu leisten, während ich geduscht habe.«
    »Verstehe.« Auf einmal schien er hierher zu gehören, wirkte bei weitem nicht so fehl am Platz wie ich in seinem schicken |94| Büro, seinem prachtvollen Haus und seinem teuren Auto. Das ärgerte mich irgendwie.
    »Troy, Troy, ich zeige dir meine Sachen«, sagte Paul und zog an meinem Bein. »
J’ai beaucoup de choses, beaucoup de jouets.
Sie sind von
Papa
, aus unserem
maison.«
Er schaute mich freudestrahlend an. Es war, als hätte er sich über Nacht in ein ganz normales Kind verwandelt. Verschwunden war der dünne, blasse Geist, den ich am Ufer des Lake Champlain auf dem Schoß gehalten hatte. Entführt, die Mutter ermordet, von einer Fähre geworfen, in einer Höhle verlorengegangen – das alles lag hinter ihm. Er hatte Spielzeug, das er mir zeigen wollte, eine ganze Tasche voll, und nur das war wichtig.
    Ich schaute zu Dumond, der mich mit einem schiefen Grinsen ansah. Ich ließ mich von Paul ins Wohnzimmer ziehen, wo er den Lastwagen, den großen Teddy und die Actionfiguren aufgestellt hatte. Er spielte mir gerade eine komplizierte Szene mit

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