Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Herzschlag bis zum Tod

Ein Herzschlag bis zum Tod

Titel: Ein Herzschlag bis zum Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara J. Henry
Vom Netzwerk:
möglich aus ihm herausholen. Warum haben sie Paul dann noch einen Monat oder länger behalten, nachdem Dumond nicht mehr auf die Forderungen reagierte?« Er brachte seinen Abfall weg, und wir gingen zum Auto. Dann fragte er leise: »Weißt du, ob er sexuell missbraucht wurde?«
    »Der Arzt sagt nein.«
    Simon dachte nach. »Sie haben ihre Gesichter verborgen. Also hatten sie ursprünglich nicht vor, ihn zu töten. Möglicherweise wollten sie ihn einfach verkaufen und sind damit gescheitert. Oder sie wollten noch mehr Lösegeld fordern und haben ihn erst ins Wasser geworfen, als sie glaubten, die Polizei wäre ihnen auf den Fersen.«
    Mich schauderte.
    »Ganz schön kaltblütig«, bestätigte er. »Vor allem, nachdem sie ihn so lange bei sich behalten hatten. Glaubt die Polizei, dass die Kidnapper ihn suchen?«
    »Nur wenn bekannt wird, dass Paul wieder da ist. Aber man nimmt an, dass die Entführer aus Montreal sind.«
    Als ich den Wagen anließ, fragte er: »Wissen unsere Eltern, dass du hier bist?«
    |142| »Ich habe ihnen nur eine E-Mail geschickt, dass ich unterwegs bin. Falls sie anrufen.«
    Wir wussten beide, dass das nicht passieren würde.
    Wäre Simon nicht gewesen, hätte ich glatt geglaubt, ich sei als Baby im Krankenhaus vertauscht worden. Wir beide waren nicht geplant – unsere Schwestern waren acht und zehn gewesen, als Simon geboren wurde. Er war natürlich der männliche Erbe, der eine Südstaatenfamilie erst vollständig macht, außerdem war er attraktiv, offen und liebenswert und brillierte in allem, was man von ihm erwartete: Football, Baseball, Pfadfinder und Gesellschaftstanz.
    Als nicht mal ein Jahr später Überraschung Nummer zwei eintraf, nämlich ich, war der Reiz des Neuen verflogen. Meine Mutter wies die Mütter von Neugeborenen oft genug darauf hin, dass ich meine Entstehung dem Irrglauben verdanke, man könne während des Stillens nicht erneut schwanger werden.
    Falls Suzanne und Lynnette sich überhaupt eine kleine Schwester gewünscht hatten, dann jedenfalls nicht mich. Ich hasste die Rüschenkleider, die sie und meine Mutter für mich kauften. Ein besonders verhasstes Exemplar vergrub ich mal im Garten. Stattdessen zog ich Simons Sachen an, wenn er herausgewachsen war. Ich spielte nicht mit Barbies, weil mir ihre spitzen Füße und engen Kleider nicht gefielen. Wenn möglich, zog ich mit Simon und seinen Freunden durch die Gegend, las und fuhr Rad. Ich tanzte nicht. Ich nahm nicht am Junior-Miss-Stipendienprogramm teil. Ich ging nicht auf Bälle oder zu Footballspielen.
    Stattdessen vergrub ich mich in Büchern, entdeckte Radrennen für mich, schlug bei der Aufnahmeprüfung für die Universität alle meine Mitschüler und erhielt ein Stipendium für die Oregon State. Ich übersprang das letzte Jahr an der High School. Meine Familie war sauer, weil sie erwarteten, ich würde brav zu Hause bleiben und an der Vanderbilt studieren, wo mein Vater Physikprofessor ist. Die Vanderbilt übernimmt |143| aber einen Teil der Studiengebühren für die Kinder ihrer Mitarbeiter, die an anderen Universitäten studieren, und den Rest deckten mein Stipendium und meine Teilzeitjobs ab. Abgesehen von der Krankenversicherung und gelegentlichen Flügen nach Hause (und den Zwanzigern, die mir mein Vater heimlich zusteckte) habe ich, seit ich siebzehn bin, für mich selbst gesorgt.
    Ich fahre nicht oft nach Nashville.
    Im Auto schwiegen wir eine Weile. Simon dachte über den Fall nach, und ich fragte mich, wie dieses Wochenende wohl verlaufen würde. Mein Bruder hatte mich noch nie bei anderen Leuten besucht, schon gar nicht bei einem Mann, dessen Sohn entführt worden war.
    In der Einfahrt öffnete ich das Fenster und tippte den Zahlencode ein, den Philippe mir genannt hatte. Während wir warteten, dass sich das Tor öffnete, begutachtete Simon das Haus.
    Dann stieß er einen leisen Pfiff aus. »Nette Hütte, Schwesterherz«, sagte er mit hochgezogenen Augenbrauen. Ich verzog das Gesicht. Ich hatte nicht erwähnt, dass Philippes Einkommen das unserer üblichen Bekannten bei weitem überstieg. Aber die Kinder und Ehefrauen armer Leute werden wohl auch nicht so oft entführt.

|144| 22
    Elise plauderte angeregt, während sie Simon sein Zimmer zeigte und sich für dessen Größe entschuldigte, obwohl es nicht gerade klein war. Immerhin musste ich nicht seinetwegen mein Zimmer räumen, so wie es bei meiner Familie wohl gewesen wäre.
    Bald darauf kamen Paul und Philippe nach Hause. Sie sahen beide müde aus,

Weitere Kostenlose Bücher