Ein Herzschlag bis zum Tod
haben die Zeichnungen an die Polizei in Vermont und New York geschickt, und natürlich auch nach Montreal und zur RCMP. Die Kollegen in Vermont und New York haben den Anruf von Miss Chance zwar für einen Scherz gehalten, aber dennoch das Fährbüro in Burlington verständigt.«
»Ich hätte da eine Frage«, sagte Simon. »Hatte die Verpackung der Mahlzeiten von McDonald’s, die Paul bekommen hat, nur einen englischen oder auch einen französischen Aufdruck?«
Einen Augenblick lang glaubte ich, Jameson werde nicht antworten. »Er sagt, nur englisch.« Also war Paul in den Staaten gefangen gehalten worden, vermutlich in Vermont.
»Keine brauchbaren Spuren aus der früheren Ermittlung?«
Erneutes Achselzucken, das alles bedeuten konnte. Jameson erkundigte sich nach Simons Arbeit, und sie kamen auf allgemeine Polizeithemen. Ich hatte diese Art der Konversation bei Simon und seinen Kollegen schon zur Genüge genossen und hörte nicht zu, sondern dachte darüber nach, wie es Paul wohl bei der Psychologin erging. Irgendwann stieß Simon mich an.
»Wie lange wollen Sie bleiben?«, erkundigte sich Jameson bei mir.
|150| »Das hängt von Paul ab«, sagte ich automatisch. »Kommt drauf an, was die Psychologin sagt.«
Etwas in meinem Blick stellte ihn wohl zufrieden, denn er erhob sich. »Bitte geben Sie das hier Monsieur Dumond.« Er hielt uns den Umschlag hin. »Er kann mich anrufen, wenn er Fragen hat.« Dann gab er uns beiden die Hand. Seine war überraschend rau, der Griff kurz und fest. Er hatte helle Augen wie ein Wolf. »Sie haben ja meine Karte.« Das war keine Frage. Ich nickte.
Als Jameson gegangen war, sah Simon mich an. »Was sollte das?«
»Er denkt wohl, ich würde plötzlich eine Erleuchtung bekommen und mich erinnern, dass ich die Entführer doch gesehen habe. Oder herausfinden, dass Philippe dahintersteckt.«
Er deutete auf den Umschlag. »Was ist das?«
»Die Phantombilder von den Entführern.« Bevor ich etwas sagen konnte, hatte er sich den Umschlag genommen und ihn geöffnet. »Simon, ich glaube nicht –«
»Ah«, sagte er und breitete die Zeichnungen auf dem Couchtisch aus. »Die üblichen computererzeugten Bilder.«
Auf den ersten Blick wirkten sie wie Androiden, so wenig menschlich sahen die Gesichter aus. Ich habe gelesen, dass solche Bilder keinen bestimmten Menschen darstellen, sondern nur an jemanden erinnern sollen, damit der Betrachter eine Verbindung herstellt. Diese hier waren allerdings besonders merkwürdig, mit dunklen Augenbrauen, hervorspringendem Kinn und schmalem Mund.
»Hm«, machte Simon, verschwand und kam mit einem Block und weichen Bleistiften zurück. Er zeichnete schnell und konzentriert, wobei ich wohlweislich den Mund hielt. Bald hatte er eine Sammlung von Zeichnungen mit weicherer Kinnpartie, längerer Nase, lockigem Haar und anderen Varianten erstellt.
Ich holte noch Limonade und schaute Simon zu, bis er den |151| Stift beiseitelegte. »Mal sehen, ob Paul uns gleich sagen kann, welche am ähnlichsten sind.«
Ich sah ihn ernst an.
»Was ist denn? Du weißt doch, dass kein Mensch jemanden aufgrund der anderen Zeichnungen erkennen würde.«
»Ich weiß. Es ist nur … für Paul ist es sehr schwer, sich die Gesichter anzusehen und sich an sie zu erinnern.«
Wir hörten ein Geräusch an der Tür und Simon legte die Bilder rasch in seinem Zeichenblock.
Paul stürmte herein, umarmte mich und gab Simon auf einen Wink seines Vaters hin die Hand. Philippe reckte diskret den Daumen in die Höhe, während Paul Tiger umarmte und in einer Mischung aus Englisch und Französisch von dem Eis erzählte, das er gegessen hatte, rosa wie das in Lake Placid, ein ganz kleines, damit er noch Abendbrot essen und Elise eine Freude machen konnte. Ich folgte Philippe in die Küche, wo er sich ein Glas Wasser holte.
»Paul hat sich bei der Psychologin ganz wohl gefühlt. Wir haben erst zu dritt miteinander gesprochen, dann sie mit ihm allein. Anscheinend war er ziemlich offen.«
»Philippe, ich …«
Als ich verstummte, blickte er mich scharf an. »Detective Jameson hat Kopien der Zeichnungen vorbeigebracht. Aber Simon hat andere gemacht – wenn Sie meinen, dass Paul sie ansehen und die besten heraussuchen kann …«
Er überlegte. »Ich glaube schon. Er hat der Psychologin von den Männern erzählt, und er will, dass sie ins Gefängnis kommen. Fragen wir ihn doch mal.«
Paul stimmte überraschend zu und setzte sich auf meinen Schoß, während Simon die
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