Ein Herzschlag bis zum Tod
Gelegenheit, mich im Internet herumzutreiben.
Es sind schon Verbrechen aufgeklärt worden, weil jemand den Täter auf Facebook erkannt hat, und ich beschloss, eine private Anzeige bei Craigslist aufzugeben. Ich formatierte die Zeichnungen der beiden Männer und schrieb in der Rubrik »Persönlich«:
Suche nach zwei Frankokanadiern, möglicherweise aus der Gegend um Montreal, die vor kurzem vermutlich in oder bei Burlington gewohnt haben – bin dankbar für jede Information.
Dann lud ich die Zeichnungen hoch. Ich benutzte die anonyme E-Mail -Adresse, die Craigslist zur Verfügung stellt, und gab nirgendwo meinen Namen an.
Als ich meine Mails abrief, sah ich, dass Madeleines Freundin Gina an meine falsche Identität geschrieben hatte:
Habe ich mich auch gefragt. Habe nur eine Mail von ihr bekommen, das ist alles.
Ich setzte alles auf eine Karte und schrieb mit trockenem Mund zurück:
Sollen wir uns zum Kaffee oder Mittagessen treffen und ein bisschen reden?
Gina musste an ihrem Computer gesessen haben, denn die Antwort traf nach einer Minute ein.
Ich könnte morgen um 11.30 Uhr, wie ist es mit Ihnen?
Ich holte tief Luft und schrieb zurück:
Klar, wo sollen wir uns treffen?
Sie schlug ein Café in Montreal vor. Ich rief eine Landkarte auf und schätzte, dass es etwa zwei Stunden Fahrtzeit wären. Ja, das würde klappen. Ich bestätigte die Verabredung.
Ich konnte nicht mal mir selbst vormachen, dass ich nur nach den Entführern suchte. Sicher wollte ich Hinweise, aber ich wollte auch um jeden Preis mehr über Madeleine erfahren |218| – jemanden treffen, der sie gekannt hatte und mit mir über sie sprechen wollte.
An diesem Abend kam Claude wieder zum Essen. Ich war mir wirklich nicht sicher, warum er das tat. Vielleicht aus Pflichtbewusstsein – oder um mich zu ärgern. Womöglich auch wegen Elises Kochkünsten. An diesem Abend versuchte er kaum, Paul in ein Gespräch zu verwickeln, und als Philippe kurz den Raum verließ, nickte Claude in Richtung Elise, die gerade unsere Kaffeetassen nachgefüllt hatte.
»Elise ist sehr tüchtig.«
»Ja, das stimmt.«
»Und Paul treu ergeben.«
»Ja, sie hat ihn sehr gern.«
Seine Stimme war ebenso ausdruckslos wie meine. »Vielleicht ein bisschen zu gern.«
Ich musste darauf reagieren. Was wollte er andeuten? Oder wollte er mich nur provozieren? »Woher wollen Sie das wissen?«
Nicht ganz die Reaktion, mit der er gerechnet hatte. Etwas blitzte in seinen Augen auf. »Meine Schwester hat es mir erzählt.«
Ich musste nicht antworten, weil Philippe zurückkam. Später am Abend erkundigte ich mich bei ihm, wie lange Claude schon für ihn arbeitete.
Er überlegte einen Moment. »Fast sechs Jahre. Damals wohnte er nicht in Montreal, wollte aber in der Nähe seiner Schwester sein. Also habe ich ihm eine Stelle angeboten, und es hat sich ziemlich gut entwickelt.«
Ich konnte meine Überraschung nicht verbergen.
»Oh, Claude ist ein ausgezeichneter Mann – phänomenal im Abschluss von Geschäften. Aber er stichelt gern. Eine Zeit lang hat er Colette, unserer Empfangsdame, das Leben schwergemacht, bis sie lernte, ihn zu ignorieren. Allerdings macht ihn |219| sein Gespür für die Schwachpunkte anderer zu einem exzellenten Verkäufer.«
Wenn man weiß, wie man Leute ärgert, weiß man vermutlich auch, wie man ihnen Freude bereitet. »Bestimmt war es ein gewaltiger Schritt für ihn, hierher zu ziehen.« Sicher hatte Claude nicht nur seine Schwester, sondern auch Freunde in Montreal gehabt.
»Ich glaube, die Veränderung kam ihm ganz gelegen. Er war mit einer Frau zusammen, aber die Beziehung endete plötzlich und im Streit. Die Firma neu aufzubauen war eine Herausforderung, die ihn ablenkte. Allerdings habe ich den Eindruck, dass er sich ein bisschen langweilt, weil er hauptsächlich das Büro leitet, statt direkt mit den Klienten zu arbeiten.«
Ein gelangweilter Angestellter ist gefährlich, dachte ich, sprach es aber nicht aus. Er war Philippes Schwager und würde immer zu seinem Leben gehören.
Am nächsten Morgen hatte ich zwei Antworten auf meine Anzeige bei Craigslist – von einer Partnervermittlung und jemandem, der die Anzeige als Anmache interpretiert hatte. Neuer Versuch. Ich postete eine Nachricht auf Twitter:
Kennt jemand die Jungs? Könnten in Entführung eines 6-jährigen letzten Dezember verwickelt sein.
Ich fügte den Link zu der Anzeige hinzu. Die Nachricht würden Hunderte von Followern lesen. Der eine oder andere würde sie an seine
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