Ein Herzschlag bis zur Ewigkeit
nicht eine Weile die Backen?« schlägt Moische vor. »Dein Mundwerk kann ein bißchen Ruhe vertragen.«
David macht, ganz gekränkte Unschuld, ein Gesicht und zieht sich in sich zurück. Dann zwinkert er LaPointe zu. Er hat Moische schon den ganzen Abend lang getriezt, ihn hier und da aufgezogen, sich über sein Spiel lustig gemacht, als er ganz genau wußte, daß die Karten gegen ihn waren. Und doch wundert er sich ein bißchen, daß sein liebenswürdiger Partner derart zurückschießt.
»So?« fragt Moische Guttmann. »Was haben Sie denn studiert?«
Guttmann geht mit einem Achselzucken über die Wichtigkeit seines Studiums hinweg, ein bißchen verlegen, weil LaPointe dabei ist. »Ach, ein bißchen Soziologie, ein bißchen Psychologie des Verbrechens und seiner Motive – so in der Art.«
»Keine Literatur? Keine Theologie?«
»Ein bißchen Literatur natürlich auch. Keine Theologie. Würden Sie mir mal bitte den Senf rüberreichen?«
»Hier, bitte. Sehr interessant, daß Sie die Motive des Verbrechens und das alles studiert haben. Erst neulich habe ich über Verbrechen und Sünde nachgedacht … das Gemeinsame, die Unterschiede.«
»Junge, Junge«, wirft David ein. »Jetzt geht das wieder los! Hör zu! Denk übers Verbrechen nach, in Ordnung. Das ist deine Bürgerpflicht. Aber über die Sünde? Moische, alter Freund, so alte Knacker wie wir sollten nicht über die Sünde nachdenken. Dazu ist es zu spät. Unsere Chancen sind vorbei.«
Guttmann lacht: »Nein, Mister Rappaport, tut mir leid, über solche Sachen denke ich niemals nach.«
»Nein?« fragt Moische traurig und sieht seine Hoffnungen auf ein gutes Gespräch schwinden. »Merkwürdig. Als ich jung war, war das Denken eine Art Volkssport.«
»Die Zeiten ändern sich«, sagt David.
»Heißt das, sie werden besser?« fragt Moische.
Guttmann schaut auf die Uhr. »He – entschuldigen Sie, aber ich muß jetzt gehen. Ich hab' 'ne Verabredung und bin schon spät dran.«
»Eine Verabredung?« fragt David. »Es ist nach elf. Was können Sie denn so spät noch machen?«
»Wir werden uns was ausdenken.« Kaum hat er diese pubertär eindeutige Bemerkung fallenlassen, empfindet er, daß sie indiskret seinem Mädchen gegenüber war.
Moische steht auf. »Ich bring' Sie zum Wagen.«
»Nicht nötig, Sir.«
»Sie sind schon spät dran. Und Sie kennen sich in dieser Gegend nicht so aus. Also reden Sie nicht. Holen Sie Ihren Mantel.«
Als sie weggehen, hat Moische schon angefangen: »… wenn Sie sich das mal überlegen, sind die Unterschiede zwischen Sünde und Verbrechen größer als die Gemeinsamkeiten. Nehmen Sie zum Beispiel das Thema Schuld …«
Als sie die Tür hinter sich zumachen, schaut David LaPointe an und schüttelt den Kopf: »Ach, dieser Moische. Sünde, Verbrechen, Liebe, Pflicht, das Gesetz, das Gute, das Böse … er interessiert sich für alles, was so groß ist, daß es gar nicht mehr draufankommt. Ein Gelehrter! Aber in praktischen Dingen …« Er pafft die Luft durch die Lippen. »Das erinnert mich daran, daß ich etwas mit Ihnen besprechen wollte, Claude. Eine Rechtssache.«
»Ich bin kein Rechtsanwalt.«
»Ich weiß, ich weiß. Aber Sie kennen ein bißchen das Gesetz. Es mag Sie vielleicht überraschen, aber ich bin nicht unsterblich. Ich könnte sterben. In meinem Alter muß man an solche Sachen denken. Also, sagen Sie mir: Was muß ich tun, damit das Geschäft auf Moische übergeht, wenn er mich – Gott behüte – überleben sollte?«
LaPointe zuckt die Achseln. »Ich weiß nicht. Steht das nicht alles in eurem Teilhabervertrag?«
»Also … das ist das Problem. Moische und ich sind eigentlich gar keine Teilhaber. Im rechtlichen Sinne, meine ich. Und ich habe einen Neffen. Ich würde es sehr ungern sehen, wenn der daherkäme und Moische aus dem Geschäft rausdrängen würde. Und – glauben Sie mir – das brächte der fertig. Sein Geld mit Arbeit zu verdienen, das bringt er nicht fertig. Aber jemanden wo rausdrängen? Das bringt er glatt fertig.«
»Ich verstehe nicht recht. Was meinen Sie damit, Sie und Moische sind keine Teilhaber? Ich dachte, er hat das Geschäft aufgezogen und Sie später als Teilhaber hineingenommen.«
»Das stimmt. Aber Sie kennen doch Moische. Am Geschäft als solchem hat er kein Interesse. Ein wunderbarer Mensch, aber in geschäftlichen Dingen ein Luftmensch. Im Laufe der Jahre hat er mir also das Geschäft überschrieben, um den ganzen Kram mit Steuern und Buchführung und allem vom
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