Ein Herzschlag bis zur Ewigkeit
Guttmanns drei Linien ein riesiges Dreieck einschließlich der östlichen Hälfte des Main-Distrikts und einer Ecke des Parc Fontaine umfassen. »Na, da haben Sie ja das Gebiet schon auf Ost-Kanada eingegrenzt.«
Guttmann merkt, wie dumm sein Gedanke klingt, wenn man ihn ausspricht. »War halt ein Schuß ins Blaue. Ich wußte, daß zwei von diesen Linien irgendwo sich schneiden müßten, und hoffte, die dritte würde genau dort dazukommen.«
»Ich verstehe.« LaPointe schiebt die Ordner, die Guttmann mitgebracht hat, beiseite und nimmt sich eine Latte unbearbeiteter Papiere vor. Der Junge soll sehen, daß er hergekommen ist, um noch was zu erledigen. Nicht, weil er einsam ist. Nicht, weil sein Bett zu groß ist.
»Darf ich Ihnen eine Tasse Kaffee holen, Sir?«
»Wenn Sie sich auch eine mitbringen.«
Während Guttmann unten in der Halle am Kaffeeautomaten steht, wandern LaPointes Augen zur Wandkarte zurück. Er stößt verächtlich die Luft durch die Nase bei dem Gedanken, daß sich Probleme durch Geometrie und Deduktion lösen ließen. Was man braucht, ist ein Informant, jede Menge Druck, eine Faust.
In jeder Hand einen randvoll gefüllten Pappbecher, hat Guttmann einige Schwierigkeiten mit der Tür; er verschüttet was und verbrennt sich die Finger. »Verdammt noch mal!« Er gibt der Tür einen Tritt.
LaPointe blickt kurz auf. Der Junge ist doch sonst so beherrscht, so höflich. Während sich Guttmann in seinen alten Stuhl an der Wand setzt und die Beine von sich streckt, schlürft LaPointe seinen Kaffee.
»Was haben Sie für Probleme?«
»Bitte?«
»Ärger mit Ihrem Mädchen?«
»Nein, das ist es nicht. Die Sache entwickelt sich wirklich prima.«
»Oh? Wie lange kennen Sie sie denn schon? Eine Woche?«
»Wie lange braucht man denn?«
LaPointe nickt. Das stimmt. Er wußte damals schon nach zwei Stunden, daß er sein ganzes Leben mit Lucille verbringen wollte. Das war natürlich ein Jahr, bevor sie das Geld hatten, zu heiraten.
»Nein, das Mädchen ist es nicht«, fährt Guttmann fort und schaut in seinen Kaffee. »Es ist die Polizei. Ich trage mich ernstlich mit dem Gedanken abzugehen.« Er wollte darüber schon an jenem Abend mit LaPointe sprechen, als sie aus dem Go-Go-Schuppen kamen, hatte aber keine Gelegenheit dazu. Er schaut auf, um zu sehen, wie der Lieutenant die Neuigkeit aufnimmt.
LaPointe reagiert nicht im mindesten. Vielleicht ein leichtes Achselzucken. In so einer Situation gibt er niemals Ratschläge; er scheut die Verantwortung.
Das Schweigen hat etwas Unbehagliches, Ausforschendes, deshalb blickt LaPointe auf die Wandkarte, um es irgendwie zu überbrücken. »Was hat diese Linie von Nordwest nach Südost zu bedeuten?«
Guttmann versteht. Der Lieutenant möchte nicht darüber sprechen. Na, schön … »Ah, darf ich mal -? Also, das X ist die Straße, wo wir Green gefunden haben.«
»Das weiß ich.«
»Und der Kreis ist, wo er gewohnt hat – die Pension mit der Concierge mit der aufgeschlagenen Lippe. Ich habe also dazwischen eine Linie gezogen und sie nach Südosten hin verlängert, um zu sehen, wohin sie führen würde. Nur so ungefähr. Sie geht zwar mitten durch die Häuserblocks, muß aber im großen ganzen die Richtung sein, aus der er gekommen ist.«
»Ja, aber er ist doch nicht zu der Pension zurückgegangen.«
»Bitte?«
»Er ging zum Happy Hour Whisky á Go-go, wissen Sie noch? Er hatte 'ne Verabredung mit der zurückgebliebenen Kleinen von der Tänzerin.«
Guttmann schaut genau hin und runzelt die Stirn. »Jaaa. Das ist richtig!« Er holt seinen Bleistift raus und fährt über die Karte. Freihändig skizziert er eine neue Linie, und das riesige Dreieck wird um ein ganzes Stück kleiner. »Das engt die Sache schon wesentlich ein.«
»Klar. Auf etwa dreißig Häuserblocks mit sechs- bis achttausend Menschen. Nun wollen wir uns doch spaßeshalber mal die anderen Linien ansehen. Was hat die da zu bedeuten, die da stur von Ost nach West verläuft?«
»Das ist der Professor von der McGill. Das X zeigt, wo seine Leiche gefunden wurde; der Kreis bezeichnet sein Büro auf dem Universitätsgelände.«
»Woher wissen Sie, daß er zu seinem Büro unterwegs war?«
»Reine Vermutung. Seine Wohnung hatte er oben im Norden. Warum sollte er in westlicher Richtung gehen, wenn nicht zum Campus? Hatte vielleicht noch was zu tun gehabt. Prüfungsarbeiten oder so was.«
»Na schön. Vermuten Sie. Und die anderen Linien? Was ist mit der nordsüdlichen?«
»Das ist der Amerikaner.
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