Ein Herzschlag bis zur Ewigkeit
dachte ich mir, wenn eine von den Linien auf der Karte nur wenige Grade weiter weg verliefe, könnte die Frau mehrere Blocks von hier entfernt wohnen.«
»Hm-m. Falls sie hier noch wohnt. Falls es eine Frau ist. Falls …«
LaPointe verhält den Schritt ein wenig, als er sich die nächste Tür anguckt. Dann läuft er etwas schneller weiter.
»Falls was, Sir?«
»Kommen Sie. Ich spendier' Ihnen 'ne Tasse Kaffee.«
Sie trinken Kaffee in einem kleinen Lokal östlich des Platzes, einer jener ungemütlichen Künstler-Kneipen, wo die Jungen verkehren. Zu dieser Tageszeit ist das Lokal leer bis auf ein intensiv mit sich beschäftigtes Paar in der hinteren Ecke, einen bärtigen Jungen, der unter dem Impuls, sich mitzuteilen, zu stammeln anfängt, und ein dünnes Mädchen mit runden Brillengläsern, das sich anstrengt, ihn zu verstehen. Sie haben alle Mühe, nicht geschraubt zu sprechen.
Die Kellnerin ist eine junge Schlampe, die mit den Fingern eine verfilzte Haarsträhne aufdröselt, während sie Guttmanns Bestellung – zwei Cappuccini – wiederholt. Sie geht zur Kaffeemaschine und läßt Dampf in den Kaffee zischen, wobei sie unbeteiligt aus einem mit Glasperlen behangenen Vorderfenster schaut. Diesmal sind sie von einer Atmosphäre umgeben, in der sich Guttmann mehr zu Hause fühlt als LaPointe, der über den Tisch guckt und über den jungen Polizisten den Kopf schüttelt. »Sie reden davon, daß Gott auf der Seite der Betrunkenen, der Narren und der Kinder stehe. Ich hatte nicht erwartet, daß bei Ihrer albernen Linienzieherei etwas rauskommen würde. Nicht eine einzige Chance unter tausend.«
»Ist denn etwas dabei herausgekommen?«
»Ich fürchte ja. Es besteht die Chance, daß unsere Frau an dieser Schule tätig ist – oder tätig war.«
»An welcher Schule?«
»Siebentes Haus vom Ende der renovierten Reihe. An der Tür war ein Messing-Schild, 'ne Art Schule. So eine, wo Ausländer Englisch und Französisch im Schnellverfahren lernen können.«
Guttmann kriegt große Augen. »Und Green hat Englisch gelernt!«
LaPointe nickt.
»Aber, Moment mal. Was ist mit dem Amerikaner?«
»Hat möglicherweise Französisch gelernt. Vielleicht, weil er in Quebec ein Geschäft aufmachen wollte.«
»Und der Universitätsprofessor?«
»Weiß ich nicht. Müssen mal sehen, wie der dazu paßt. Wenn er dazu paßt.«
»Moment, Sir. Selbst wenn die Fäden in dieser Schule zusammenlaufen, muß es nicht unbedingt eine Lehrerin sein. Vielleicht eine Studentin?«
»Über einen Zeitraum von sechs Jahren?«
»Na, gut, dann also eine Lehrerin. Tja, was machen wir nun?«
»Wir werden uns mal mit jemandem unterhalten. Mal sehen, ob wir rauskriegen, welche Lehrerin unser Mann ist – sozusagen.« La-Pointe steht auf.
»Trinken Sie Ihren Kaffee nicht aus, Sir?«
»Diese Brühe? Winken Sie mal der schmierigen Kleinen – und dann nichts wie raus hier.«
Angesichts des Spülwassers, das er mit dem Lieutenant schon in chinesischen, griechischen und portugiesischen Cafés hat trinken müssen, kommen Guttmann ernste Zweifel, ob es wirklich die Qualität des Kaffees ist, wovor es LaPointe graust.
»… bei einem Gesamtlehrkörper von dreizehn Lehrern macht das also neun beziehungsweise neuneinhalb Ganztagskräfte, wenn Sie berücksichtigen, daß einige meiner Lehrer nur halbtags arbeiten und andere Lehrkräfte Studentinnen sind, die sich hier mit unseren Techniken des Einzelunterrichts in Intensiv-Sprachtraining vertraut machen.« Mademoiselle Montjean zündet sich mit einem Feuerzeug aus Gold und Marmor eine Zigarette an, tut einen tiefen Zug, legt den Kopf zurück und bläst den Rauch in die Luft, damit er ihren Gästen nicht in die Augen kommt. Dann faßt sie sich mit Daumen und Zeigefinger leicht an die Zunge, als müsse sie da ein Krümchen Tabak wegmachen – eine Geste, die sie aus der Zeit, da sie noch filterlose Zigaretten rauchte, beibehalten hat.
Vieles an ihr erinnert Guttmann an ein Mannequin: die säuberlich gelegte, eingerollte Frisur, die bei ihren raschen und energischen Bewegungen hüpft und wippt; die selbstbewußten, fast einstudierten Gesten; Arme und Beine lang und schlank; das tadellose Schneiderkostüm, so funktional wie weiblich-schick. Und wie ein Mannequin scheint sie sich in jedem Augenblick ihrer selbst bewußt zu sein, als ob sie sich selbst beobachtete. Guttmann findet ihre Stimme in ihrer Mischung von äußerster Präzision des Ausdrucks und dem tiefen, warmen, ein ganz klein wenig heiseren
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