Ein Herzschlag bis zur Ewigkeit
gehen die Straße hinunter.
Guttmann quetscht sich durch zwei Fußgänger hindurch und holt LaPointe ein. »Haben Sie das Messer gesehen, Lieutenant? Völlig runtergeschliffen.«
LaPointe errät, was der junge Mann denkt. Er schiebt die Unterlippe vor und schüttelt den Kopf. »Nein. Der ist schon seit Jahren auf der Main. War früher mal Dachdecker. Eines Tages, als die Ziegel voller Schnee waren, ist er ganz schlimm abgestürzt. Deshalb hat er Angst vor Schnee. Die Leute auf der Straße geben ihm ab und zu 'ne Kleinigkeit. Zu betteln wie die anderen Penner, dazu ist er zu stolz, also geben sie ihm alte Messer zum Schärfen. Sie kriegen sie nie wieder. Er vergißt, wer sie ihm gegeben hat, und er schärft sie, bis nichts mehr übrig ist.« LaPointe geht über den Damm. »Kommen Sie. Noch eine Runde, dann machen wir Feierabend.«
»Haben Sie 'ne wichtige Verabredung?« fragt Guttmann.
LaPointe bleibt stehen und wendet sich zu ihm um: »Warum fragen Sie mich das?«
»Ach … ich weiß nicht. Ich dachte nur … Freitagabend und so. Ich meine, ich habe heute abend ja selber eine Verabredung.«
»Das ist ja großartig.« LaPointe dreht sich um und setzt seinen gemessenen Inspektionsgang fort, wobei er hier und da kleine Abstecher in das Netzwerk der Seitenstraßen macht. Er prüft die Schlösser an den eisernen Gittern. Er tippt an das beschlagene Fenster eines portugiesischen Lebensmittelladens und winkt dem alten Manne zu. Er bleibt stehen, um zwei Männer zu beobachten, die einen großen Koffer eine lange Holztreppe runtertragen, bis ihm klar wird, daß sie unter dem Geheul und Gefluche einer stämmigen Alten, die zu glauben scheint, daß man ihr noch Geld schulde, einem jungen Paar beim Umzug helfen.
Sie gehen gerade über eine fast leere Seitenstraße, als einen halben Häuserblock vor ihnen ein Mann kehrtmacht und eilig die Straße überqueren will.
»Scheer!« ruft LaPointe. Ein paar Leute bleiben stehen und machen große Augen. Dann gehen sie rasch weiter. Der Mann bleibt wie angewurzelt stehen, aber in seiner Haltung ist eine angespannte Energie, als wollte er rennen … wenn er es nur wagte.
LaPointe hebt die Hand und winkt ihn mit dem Zeigefinger zu sich. Widerstrebend kommt Scheer zurück und geht auf den Lieutenant zu. Mit seinem gewollten Schlendergang und seinem modischen Anzug ist er der Dandy, wie er im Buche steht.
»Was habe ich dir gesagt, als ich dich gestern abend in der Bar da traf, Scheer?«
»Aber, Lieutenant …« In seiner Stimme schwingt ein öliges Gurren.
»Schon gut«, sagt LaPointe gelangweilt und abgespannt. »Stell dich da an die Mauer.«
Mit einem langen Leidensseufzer geht Scheer zu der Mietskaserne und stellt sich mit gespreizten Armen und Beinen an die Mauer. Er weiß, wie man das macht; er hat es schon öfter gemacht. Er versucht, mit seinem Anzug nicht an die dreckigen Backsteine zu kommen.
Guttmann steht dabei und weiß nicht, was er machen soll, als LaPointe Scheers Fuß zur Seite tritt, damit der Abstand größer wird, und ihn dann rasch von oben nach unten abtastet. »All right. Weg von der Mauer. Zieh den Mantel aus.«
»Hören Sie, Lieutenant …«
»Ausziehen!«
Drei Kinder sind plötzlich wie aus dem Boden geschossen da und schauen zu, wie Scheer den Mantel auszieht und ihn säuberlich zusammenlegt, bevor er ihn mit herausfordernd langsamen Bewegungen LaPointe hinhält.
LaPointe schmeißt den Mantel auf die Vortreppe. »Nun mach die Taschen leer!«
Scheer tut es und hält LaPointe Kamm, Kleingeld, Brieftasche und ein paar Fetzen Papier hin.
»Wirf den Plunder da in den Kellerschacht«, befiehlt LaPointe.
Den Mund vor Haß zusammengepreßt, läßt Scheer seine Habseligkeiten in den vergitterten Schacht fallen. Die Brieftasche macht einen Platsch, weil der Boden des Schachtes fünf Zentimeter hoch mit schmutzigem Wasser bedeckt ist.
»Jetzt mach dir die Schnürsenkel ab und gib sie mir.«
Inzwischen ist die Zahl der Zuschauer auf ein Dutzend gestiegen, darunter zwei Mädchen Mitte Zwanzig, die kichern, als Scheer, mühsam die Balance haltend, herumhüpft und die Schnürsenkel aus den Metallösen zurrt. Gereizt händigt er sie LaPointe aus.
Der Lieutenant steckt sie in die Tasche. »Schon gut, Scheer. Wenn ich weg bin darfst du runterklettern und dir deinen Krimskrams wiederholen. Die Schnürsenkel behalte ich. Das ist nur zu deinem Guten. Ich wäre untröstlich, wenn du dich über deine öffentliche Blamage kränken und versuchen würdest, dich
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